"Gehdenken" in Dresden gegen Rechts: Nur ein bisschen stärker
Die Gegenkundgebung zum Neonazi-Aufmarsch in Dresden war nur ein bedingter Erfolg der Zivilgesellschaft. Denn sie demonstrierte auch die Uneinigkeit der Nazi-Gegner.
DRESDEN taz "Wir sind mehr, wir sind stärker!", rief der SPD-Vorsitzende Franz Müntefering am Samstag auf dem Dresdner Theaterplatz. Er war nicht der einzige Redner beim "GehDenken", der die zahlenmäßige Überlegenheit dieser Kundgebung gegen den gleichzeitig stattfindenden "Trauermarsch" von Neonazis beschwor.
Doch die Mehrheit fiel knapper aus als erwartet. Von 12.500 Teilnehmern sprach zunächst der Organisator Ralf Hron vom DGB, während die Polizei am Ende 6.500 Demonstranten zählte. Auf der anderen Seite, beim von der "Jungen Landsmannschaft Ostdeutschland" organisierten Aufmarsch waren es 6.000 Teilnehmer - und damit die größte Demonstration von Neonazis in der deutschen Nachkriegsgeschichte.
Seit Mitte der Neunzigerjahre missbrauchen die Neonazis den Tag des Gedenkens an die Bombardierung Dresdens vom 13. und 14. Februar 1945. Mittlerweile gilt der Termin als jährlicher Höhepunkt der Szene in Deutschland, wobei inzwischen häufig Rechtsextremisten aus dem Ausland zu sehen sind.
In den letzten Jahren blieben sie allerdings nicht allein. Immer wieder stellten sich Demonstranten gegen die Neonazis, und einige Male gelang es auch, ihren Aufmarsch zeitweise zu blockieren. Doch bislang war die Gegenaktivität eher eine lokale Angelegenheit gewesen.
Diesmal versuchten die Veranstalter, mit einem von zahlreichen Prominenten unterstützten bundesweiten Aufruf ein überregionales, deutliches Gegengewicht zu schaffen. Die Abschlusskundgebung auf dem Theaterplatz vor der Semperoper, auf der unter anderem die Prinzen spielten, hatten die Veranstalter als fröhliches Fest gegen den düsteren Aufmarsch geplant, was auch gelang: Nach den Reden tanzten viele jugendliche Teilnehmer vor der riesigen Bühne.
"Man darf nicht nur hinter der Gardine stehen und still gedenken", hatte Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) zuvor beim Auftakt des Sternmarschs gesagt. Er distanzierte sich damit auch von der Dresdner CDU, deren Vorsitzender Lars Rohwer das "GehDenken" als eine Veranstaltung "linker Chaoten" diffamiert hatte.
Die Distanzierung der CDU war denn auch ein Grund, warum das Ziel, eine breite Front von Bürgern mit Zivilcourage gegen die Nazis zu bilden, nur bedingt gelang. Ein weiterer Grund war das Verhalten der Polizei: So wäre die Abschlusskundgebung eindrucksvoller ausgefallen, hätte die Polizei nicht in sinnloser Weise den bunten Zug der Initiative "No pasarán" an der geplanten Vereinigung mit dem "GehDenken" gehindert.
Die autonome Demonstration, zu der sich beachtliche 3.500 Teilnehmer einfanden, darunter Antifas, Clowns, "Antideutsche" mit Israel-Fahnen-Trägern und DDR-Nostalgiker mit FDJ-Fahnen, wollte die Isolation der vergangenen Jahre überwinden, in die sie sich mit der Lobpreisung des Bombenangriffs auf Dresden selbst manövriert hatte.
Diesmal wollte man sich dem Bündnis anschließen, durfte aber nicht. So ist es vielleicht auch zu erklären, warum der Tag in Dresden nicht gewaltfrei endete. Frustrierte Gruppen kippten zwei Polizeiwagen um und beschädigten drei weitere. In der Nähe der Synagoge griff die Polizei ihrerseits überhart zu. 86 Personen wurden in Gewahrsam genommen, es gab mehrere Verletzte.
Auf die strikte Trennung der Demonstrationszüge bedacht, offenbarte die Polizeitaktik weitere Fragwürdigkeiten: Wie eine Wagenburg hatten die 4.300 Einsatzkräfte mit ihren Fahrzeugen das Stadtzentrum mehrfach abgeriegelt. Bürger, die ohnehin über den Totalausfall der öffentlichen Verkehrsmittel fluchten, wurden zur Abschlusskundgebung nicht durchgelassen.
Peinlicher noch blieb die Feststellung, dass Wahlkampf und Parteiengezänk auch diese beiden Dresdner Gedenktage überschatteten. CDU und FDP mieden das "GehDenken", während die Linke bei städtischen Gedenkveranstaltungen wie der Enthüllung einer Gedenkinschrift für die auf dem Altmarkt eingeäscherten 6.000 Toten fehlte. Hier zog sich CDU-Oberbürgermeisterin Helma Orosz wie zuvor bei der Veranstaltung vor der Frauenkirche achtbar aus der Affäre: "Wir sollten nicht vergessen, wer den Krieg losgetreten hat", rief sie.
Beim "GehDenken" redete sie zwar nicht, verteilte aber vor der Synagoge die symbolischen weißen Versöhnungsrosen. Dem Dresdner Schauspieler Wolfgang Stumph blieb es vorbehalten, auf der Bühne die Abwesenheit von Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) zu bedauern. An dessen Stelle redeten Bundesgrößen wie Wolfgang Thierse, Gregor Gysi, DGB-Chef Michael Sommer oder Claudia Roth. "Wenn 100 Nazis kommen, müssen 1.000 von uns da sein", sagte sie.
Einige Stunden später, auf dem Rastplatz Teufelstal bei Jena, war das Verhältnis aber anders: Rund 40 deutsche und schwedische Nazis überfielen dort zwei Busse mit Gegendemonstranten und verletzten fünf Menschen. Ein Opfer erlitt einen Schädelbruch, einem anderen wurde die Kniescheibe zertrümmert. Die Polizei nahm die Personalien der Angreifer auf.
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