■ Gegen eine neue Kanzlerrunde ist Skepsis angesagt: Aus Erfahrung klug
Pünktlich zum ersten Todestag des Bündnis für Arbeit mehren sich die Stimmen, die die Leiche wieder aufleben lassen wollen. Der Arbeitgeberverband signalisiert Bereitschaft und auch die Gewerkschaften sind nicht abgeneigt sich zur Kanzlerrunde einzufinden. Allein der Hausherr fürchtet noch, sich eine Absage einzuhandeln, obgleich er betont, „ohne Vorbedingungen jederzeit bereit“ zu sein.
Bereit wozu? Im augenfälligen Kontrast zum protokollarischen Brimborium steht die inhaltliche Leere. Über die Zielvorgabe ist der Kanzler schon mit sich selbst uneinig. Halbierung der Arbeitslosenzahl, diese Parole hatte er, bevor er sie jetzt wieder aufleben ließ, bereits als unrealistisch verworfen. Darin geben ihm die Wirtschaftsprognosen recht. Die Zahl von 2 Millionen neu geschaffenen Arbeitsplätzen bis zum Jahr 2000 wird wohl in die Liste der Kanzlerlügen eingehen.
Ohne Vorbedingungen sollen die Gespräche starten. Ein Schalk, wer dabei an die letzte Kanzlerrunde denkt. Die Vorleistungspflicht wurde den Gewerkschaften auferlegt – und mit welchen Ergebnis? Maßvolle Lohnabschlüsse, Lockerung des Kündigungsschutzes, Deregulierung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall – alles passiert, nur die dafür in Aussicht gestellten Arbeitsplätze fehlen nach wie vor.
Dieses Resümee verweist auf ein strukturelles Dilemma, das bereits den ersten Gesprächen anhaftete. Die Erwartung, daß die durch Leistungsverzicht erzielten Produktivitätszuwächse sich in Arbeitsplätze ummünzen statt nach weiterer Steigerung zu drängen setzt an die Stelle der betriebswirtschaftlichen eine dezidiert politische Rationalität. Die Neigung der Unternehmer, ihr zu folgen wird zusätzlich in den Maße minimiert, wie der nationalstaatliche Ordnungsrahmen, der alle Beteiligten zu gleichen Bedingungen verpflichten könnte, zerfällt. An diesem Umstand hapert auch jegliche deficit-spending Strategie, die zudem daß von allen gemeinsam angepeilte Ziel der Währungsunion unterminieren würde.
Mit diesen Dilemmata hätte, bei gleichbleibender Zielsetzung, auch eine erneute Kanzlerrunde zu kämpfen. Deren Verlauf und Ergebnis ist folglich absehbar. Solange sich daran nichts ändert, sind die Gewerkschaften gut beraten, Zurückhaltung zu üben. Es ist an der Bundesregierung, eine realistischere Zielsetzung für eine Bündnisrunde zu formulieren und in Vorleistung zu treten – schließlich will sie ja auch den propagandistischen Nutzen einstreichen. Dieter Rulff
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