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Archiv-Artikel

Gegen alle Vorurteile

Die Politologen Claus Leggewie und Erik Meyer haben ein Buch über das Holocaust-Mahnmal veröffentlicht, das keine Wünsche offen lässt. Es ist profund recherchiert, kritisch und gut geschrieben

VON MICHA BRUMLIK

Es geschieht selten, dass Zeitgeschichte und Zeitgeschichtsschreibung fast synchron sind. Und noch seltener gelingt dies mit der nötigen Distanziertheit. Ein Beispiel für solch eine überaus seltene Konstellation ist die Studie über das Holocaust-Mahnmal von Claus Leggewie und Erik Meyer.

Wenn dieses vorzügliche Buch – hoffentlich bald – eine zweite Auflage erleben wird, wäre es nur um ein neues Schlusskapitel über die peinliche Einweihungsfeier zu erweitern. Schließlich hat Lea Rosh den Festakt zu einer absurden Veranstaltung ohne Beispiel gemacht, weil sie einen vermeintlich jüdischen Backenzahn in Peter Eisenmans Werk einlagern wollte.

Die Politikwissenschaftler Claus Leggewie und Erik Meyer haben ein Buch vorgelegt, das keine Wünsche offen lässt. Ihnen ist auf etwas mehr als dreihundert Seiten eine umfassende und kritische, in der Darstellung ebenso transparente wie im Duktus flüssig geschriebene Geschichte des Berliner Denkmals für die ermordeten Juden Europas gelungen. Sie ist zudem ein Stück Geschichte der deutschen Erinnerungs- und Mentalitätsgeschichte seit dem Fall der Mauer 1989.

Indem die Autoren die scheinbar uferlose Debatte mitsamt ihrer Geschichte in drei Kapiteln zu „Personen und Positionen“, zu „Projekten und Prozessen“ sowie zu „Paradoxien und Perspektiven“ abhandeln, gewinnen sie jene Koordinaten, anhand derer ein anschauliches Bild bundesdeutscher Geschichtspolitik in ihrer Verflechtung von Bürgerinitiativen, Politikern und Intellektuellen ebenso entsteht wie ein systematischer Aufriss der „Schuld-, Verantwortungs - und Singularitätsdebatte“.

Leggewies und Meyers Buch zeichnet sich dabei nicht nur durch eine profunde Recherche, sondern vor allem durch einen nüchternen, völlig unaufgeregten und kaum je polemischen, allenfalls hin und wieder leicht spöttischen Tonfall aus, der Fairness und Objektivität ihrer Darstellung keinen Abbruch tut. Die zu erwähnenden Peinlichkeiten sind eben die Peinlichkeiten der Sache selbst, wobei die Autoren durchaus im Blick haben, dass dieser Prozess schmerzhafter Selbstvergewisserung der deutschen politische Elite jedenfalls im Grundsatz auch anders möglich gewesen wäre. Die Nüchternheit der Darstellung führt keineswegs zum Verzicht auf Kritik, wohl aber zu einer Form, in der die kritischen Einwände umso deutlicher zum Ausdruck kommen. Zur Abstimmung im Bundestag vermerken die Autoren etwa:

„Gerhard Schröder“, so Leggewie/Meyer, „befürwortet ein Holocaustdenkmal, für das er sich niemals ausgesprochen hat, sein Vorgänger Helmut Kohl lehnt es ab. Das Resultat ist eine kollektiv verbindliche Entscheidung, die durch den Verzicht auf letzte Präzision zustande gekommen ist; der Bundestag hat sich nicht allein in künstlerischen Fragen zurückgehalten, er hat auch die prekäre Erweiterung im Nebel belassen und ihre Ausführung einer nachgeordneten Verwaltung zugeschoben.“

Dass die Autoren nicht nur einer positivistischen Geschichtsschreibung huldigen, wird vor allem dort deutlich, wo sie sich um besondere Objektivität bemühen – etwa in der Darstellung des Streits zwischen Walser, Bubis und Dohnanyi um Walsers Sonntagsrede und dessen antisemitische Entgleisung gegenüber Ignatz Bubis. Hier wäre von den Autoren durchaus etwas mehr Meinungsfreude zu erwarten gewesen; indem sie den einschlägigen Abschnitt mit einem langen Zitat beschließen, geben sie zugleich zu Protokoll, in dieser Auseinandersetzung nicht eindeutig Stellung beziehen zu können. Die Leserschaft hat aber ein Anrecht darauf, die Gründe für diese Enthaltsamkeit kennen zu lernen.

Indem Leggewie/Meyer systematisch Positionen auf der Basis von Protokollen, Reden und Zeitungsberichten aller Couleur präzise belegen, ist über die Geschichte des Denkmals hinaus ein Meisterstück der Zeitgeschichtsschreibung entstanden – eine Arbeit, die das gerne geäußerte Vorurteil überzeugend widerlegt, dass Zeitgeschichte ob der mangelnden Distanz der Beobachter gar nicht möglich sei. Die Autoren werden der schwierigen Rolle der Zeithistoriker gerecht: Sie sind distanzierte Beobachter und leidenschaftliche Zeitgenossen in einem – und entfalten daher in der Regel eine begründete Haltung zu den jeweils strittigen Fragen.

Zur Erläuterung des Sinns des Denkmals ist es etwa unerlässlich, sich der Frage nach der Singularität des Holocaust zu stellen – auch auf dieses besonders schwierige Problem gehen die Verfasser jenseits aller geschichtsphilosophischen Spekulation in der gebotenen Kürze überzeugend und systematisch ein. Dass es ihnen damit wirklich ernst ist, zeigt sich unter anderem daran, dass sie – anders als es politisch interessierte Festredner noch immer tun – die Herausforderung der neueren, vergleichenden Genozidforschung annehmen und daher postulieren:

„Weder darf die These von der Singularität des Judenmordes den Blick verengen und eine letztlich rassistische Stereotypen übernehmende Hierarchie der Opfer unterstützen, noch soll eine allseitige und pauschale ‚Viktimisierung‘ Differenzen zwischen den historischen und aktuellen Vorgängen verwischen.“ Diese Forderung enthält in nuce nichts anderes als das zukunftsgerichtete Programm einer zeithistorischen Bildung in menschenrechtlicher Absicht.

Es steht zu erwarten, dass in Zukunft zeitgeschichtliche Seminare der Universitäten sowie Schulklassen bei ihren Berlinreisen das Denkmal besuchen werden. Schon heute lässt sich sagen, dass Leggewies und Meyers Standardwerk zur Vorbereitung unerlässlich ist Und: Wer dies Buch nicht studiert hat, wird am Ort des Denkmals sehr viel weniger sehen.

Claus Leggewie/Erik Meyer: „‚Ein Ort, an den man gerne geht‘. Das Holocaust-Mahnmal und die deutsche Geschichtspolitik nach 1989“. Carl Hanser Verlag, München 2005, 400 Seiten, 23,50 Euro