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Geflüchtete und SchamDas Gerechtigkeitsparadoxon

Besonders viel haben wir den Flüchtlingen nicht zu bieten, zeigt ein Besuch am Berliner Tempelhofer Feld. Woher kommt dann der Neid?

Containerdorf als Unterkunft für Geflüchtete auf dem Flugfeld Tempelhof im November 2022 Foto: Massimo Rodari/imago

N eulich spazierte ich mit G. am Abend an den Hangars auf dem Tempelhofer Feld entlang, die Sonne stand tief. Hinter dem Zaun, auf dem Vorfeld mit den Wohncontainern, spielten zwei Kinder, ein Hund lief umher. Die Hochbeete sind inzwischen bepflanzt, stellte ich fest. „Verrückt, dass die Wohncontainer auf dem Vorfeld hier inzwischen schon als Privileg gelten gegenüber den Schlafkabinen in den Hangars“, sagt G..

Die Wohncontainer bestehen aus drei Modulen, zwei kleine Wohnräume mit jeweils bis zu zwei Doppelstockbetten, dazu ein Modul mit Herd, Dusche und Klo. Im Fernsehen, erzählt G., sei neulich berichtet worden, dass es die Ukrai­ne­r:in­nen in diesen Wohncontainern doch besser hätten als die Sy­re­r:in­nen in den engen Schlafräumen im Hangar 2 und 3. Die Be­woh­ne­r:in­nen im Hangar hingegen müssen sich Gemeinschaftsküche und Sanitärräume mit vielen anderen teilen.

„In der Notunterkunft in Tegel sollen demnächst 7.000 Leute wohnen. Da sind Ukrai­ne­r:in­nen inzwischen schon wieder abgereist zu ihren ausgebombten Häusern in Charkiw, weil sie hier weder eine Wohnung noch einen Schulplatz für ihre Kinder fanden“, berichtet G..

So viel haben wir also gar nicht zu bieten. Vor acht Jahren habe ich in der Notunterkunft im Flughafen Tempelhof in der Kleiderkammer ausgeholfen. Ich erinnere mich, dass ich einem älteren Syrer ein Paar ausgelatschte Sneaker über den Tisch reichte, weil Secondhand-Männerschuhe leider immer ausgelatscht sind, sonst werden sie nicht abgegeben. Dieser entsetzte Blick des Mannes, der sehr gut Englisch sprach. „An mein Schamgefühl erinnere ich mich noch heute“, sage ich zu G., als ich ihm davon erzähle.

„Das Leid der Welt kommt hierher“, meint G., „vor unsere Haustür, vor unsere Nase. Deswegen die Scham“. „Aber wenn Mütter mit ihren Babys in lebensgefährliche Boote steigen auf der Flucht, so zwingt sie doch keiner dazu. Das ist doch unverantwortlich“, gebe ich zu bedenken.

„Die tragen Gucci“

„Das ist dein Gerechtigkeitsparadoxon“, sagt G., „gerade Leute, die selbst ein starkes Gerechtigkeitsempfinden haben, neigen dazu, dann, wenn sie sich ohnmächtig fühlen, die Schuld den Opfern zuzuschieben. Ist wissenschaftlich erwiesen“. Das stimmt, manches dreht sich bei meinen Bekannten in meiner Bubble. Ist auch etwas unheimlich. S. zum Beispiel, Linke-Wählerin, Grundsicherungsempfängerin, stänkert seit Kurzem gegen die Ukrainerinnen, „die sind immer super geschminkt, die tragen Gucci. Wer gar nicht so arm ist, sollte nicht zur Tafel gehen“, empört sie sich. Und P., berentet, in der Schule als Lesehelfer ehrenamtlich tätig, erklärt plötzlich, dass „es doch nur die Starken schaffen, über die Fluchtwege hierherzukommen. Die die Schleuser zahlen können. Das ist doch auch nicht gerecht“.

„Mit Asylpolitik kannst du immer nur Wenigen der vielen Leidenden helfen“, meint G., „das muss man akzeptieren“. G. hat mal eine Bürgschaft geleistet und Spenden akquiriert, so dass eine syrische Familie in Deutschland zusammenkommen konnte. Doch kürzlich ist er bei Pro Asyl ausgetreten, weil „es unehrlich ist, nicht über Begrenzungen zu reden. Das heißt ja nicht, dass man das Asylrecht abschafft“, sagt er. Ich empfinde inzwischen genauso.

Die Sonne ist verschwunden. Die Kinder schauen zu uns herüber. Was die über uns denken? Wir könnten mit ihnen reden, wäre nicht dieser Zaun um das Containerdorf.

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Barbara Dribbusch
Redakteurin für Soziales
Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).
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