Geflüchtete in der Türkei: Europäische Gefängnisse
Seyyit Ahmet flüchtete zuerst vor den Taliban aus Afghanistan. Weil er es in türkischer Abschiebehaft nicht ausgehalten hat, kehrte er wieder zurück.
Das Abschiebezentrum Harmandalı in Çiğli nahe İzmir liegt auf einem freien Hügel weit weg von der Stadt. Eine öffentliche Verkehrsverbindung gibt es nicht. Man betritt das Zentrum durch ein Drehkreuz aus Eisen, das Gelände ist von Betonmauern, Zäunen und NATO-Draht eingefasst. Selbst die Fenster, die einzige Verbindung der Insass*innen zur Außenwelt, sind vergittert. Weil es keine Vorhänge gibt, haben Bewohner*innen Bettlaken davor gehängt.
Hier werden Geflüchtete festgehalten, die von Sicherheitskräften aufgegriffen wurden, bevor sie die Ägäis überqueren konnten, die man für ausländische Terrorist*innen hält oder die wegen irgendwelcher bürokratischer Formalitäten festgenommen wurden. Seyyit Ahmet verbrachte vier Monate hier. Er sagt, es war wie im Gefängnis.
Als Ahmet seinen Militärdienst in Afghanistan ableistete, erhielt er Morddrohungen von den Taliban. Die Rettung sah er darin, das Land zu verlassen. Vor rund zwei Jahren flüchtete er in die Türkei. Hier hielt er sich als Bauarbeiter in verschiedenen Landesteilen über Wasser. Zuletzt hat er auf einer Baustelle in İzmir gearbeitet. Irgendwann wurden er und andere dort illegal beschäftigte Geflüchtete festgenommen. Das Gouverneursamt von Izmir entschied daraufhin, dass er abgeschoben werden sollte. Dann kam er nach Harmandalı in Abschiebehaft.
Über einen Anwalt der Anwaltskammer Izmir legte Ahmet Widerspruch gegen den Abschiebebescheid ein. Er hatte einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Aber er konnte den „nicht enden wollenden psychologischen Druck“ im Abschiebezentrum nicht mehr aushalten. Ende April stimmte er deshalb einer freiwilligen Rückkehr nach Afghanistan zu.
Geflüchteten-Gefängnisse aus EU-Geldern
Die Einrichtung Harmandalı wurde ursprünglich als Aufnahme- und Unterbringungszentrum mit finanzieller Unterstützung der EU für 750 Personen errichtet. Seit 1. Mai 2016 wird sie mit Einwilligung eben dieser EU als Abschiebezentrum benutzt. Nach Angaben der Migrationsbehörde, die dem Innenministerium unterstellt ist, gibt es derzeit 24 Abschiebezentren in der Türkei mit einer Kapazität von insgesamt 14.726 Plätzen. Im Rahmen von EU-Projekten soll die Anzahl bis Ende 2020 auf 35 Zentren mit 19.476 Plätzen erhöht werden.
Seyyit Ahmet berichtet von den Umständen im Abschiebezentrum Harmandalı, die ihn dazu bewegt haben, trotz der Todesgefahr in sein Land zurückzukehren. Er war in einem Raum mit acht Betten untergebracht, der nie mit weniger als zehn Personen belegt war. „Für die Neuankömmlinge wurden Betten in die Eingänge von Bad und Toilette gestellt.“
Nach Frühstück, Mittag- und Abendessen durften sie für je eine Viertelstunde in einen Hof. Kontakt zur Außenwelt gab es nicht. Die Bewohner*innen dort wüssten nicht einmal, dass sie ein Anrecht auf Rechtsbeistand haben. Das Personal dort würde die Menschen schlecht behandeln. Kranke hätten keine Chance auf ärztliche Behandlung, erzählt Ahmet.
Harmandalı machte bereits mehrfach wegen Rechtsverletzungen von sich reden. Vertreter*innen zahlreicher NGOs, vor allem der Anwaltskammer Izmir, des Europäischen Komitee gegen Folter und des Menschenrechtsvereins, führten Gespräche mit den dort untergebrachten Geflüchteten und machten die Rechtsverletzungen publik. Die Hauptprobleme der Geflüchteten sind mangelnder Zugang zu Rechtsmitteln, der Druck zur freiwilligen Rückkehr, die hygienischen Umstände und die Verzögerung bei der Gesundheitsversorgung.
Als ein*e Reporter*in von Gazete Duvar im April 2017 vor dem Zentrum Videoaufnahmen machte, versuchten Bewohner*innen sich mit Rufen wie „Helft uns!“ und „Essen!“ Gehör zu verschaffen.
5 Sterne bei Menschenrechten
Trotz alledem vertreten manche die Ansicht, dieses Abschiebezentrum sei in Sachen Menschenrechten ein Vorbild. Nachdem mehrere Berichte über das Zentrum veröffentlicht worden sind, fand im letzten Jahr vor Ort eine Begehung durch den parlamentarischen Unterausschuss für Menschenrechte statt. Der Vorsitzende Atay Uslu erklärte anschließend: „Die Abschiebezentren sind sehr human, es gibt zwar kleine Probleme, aber da wird unmittelbar Abhilfe geschaffen. Für alle Bedürfnisse ist gesorgt. Wir haben recherchiert, unsere Standards sind hoch. In diesen Zentren wird 5-Sterne-Menschenrechts-Behandlung geboten.“
Rechtsanwalt Deman Güler vom Vorstand der Anwaltskammer Izmir leistet Geflüchteten Rechtsbeistand. Er beklagt, dass die EU die Zentren nicht ausreichend kontrolliere, mit ihrem Geld Gefängnisse für Geflüchtete errichtet worden seien, so de facto das Asylrecht nicht mehr gelte. „Die EU muss verfolgen, wofür das von ihr geschickte Geld verwendet wird und sehen, wie skandalös diese Zentren sind.“
Der einzige Weg aus diesen Gefängnissen ist oft die Rückkehr in das Heimatland. Absatz 54 des Ausländer- und Internationalen Schutzgesetzes regelt die Abschiebefrist, Absatz 55 definiert, welche Personen nicht abgeschoben werden dürfen. Wenn es ernsthafte Hinweise darauf gibt, dass Menschen in dem Land, in das sie abgeschoben werden sollen, die Todesstrafe, Folter, menschenunwürdige Strafen oder Behandlung zu befürchten haben, ist eine Abschiebung nicht zulässig. In der Praxis aber werden zahlreiche gefährdete Personen abgeschoben. Die Migrationsbehörde weigert sich, die Anzahl „freiwilliger“ Rückkehrer*innen zu nennen und begründet das mit Verweis auf Datenschutz.
Das Prozessende können viele nicht abwarten
Es ist zwar möglich, gegen den Abschiebebescheid zu klagen. Die Umstände, unter denen Geflüchtete in den Abschiebezentren festgehalten werden, erschwert es ihnen aber, das Prozessende abzuwarten. Seyyit Ahmet erzählt, er sei immer wieder in die Verwaltung gerufen worden, wo man ihn drängte, die Rückkehrpapiere zu unterschreiben.
Ahmet beschreibt den Druck so: „Mit Drohungen wie 'Der Prozess endet zu deinen Ungunsten, dann führen wir dich mit Zwang zurück’ haben sie psychologischen Druck ausgeübt. Zuerst hat eine Gruppe aus dem Iran, die im gleichen Raum wie ich untergebracht war, zugestimmt. Auf sie wartete bei ihrer Rückkehr das Gefängnis. Einen der Männer, mit denen ich zusammen in das Zentrum gesteckt worden war, haben sie eines Nachts mit Gewalt nach Afghanistan zurückgeschickt, obwohl er gegen den Bescheid geklagt hatte. Das hat unseren Widerstand gebrochen. Nach vier Monaten habe ich es nicht länger ertragen und habe aus Verzweiflung zugestimmt. Ich musste mich zwischen Gefängnis und Todesgefahr entscheiden.“
Seyyit Ahmet kehrte trotz der Morddrohungen durch die Taliban nach Afghanistan zurück. Dort habe er sich dann eine Weile versteckt, erzählt er. Die Taliban kontrollieren sein Dorf, weshalb er nicht einmal zum Zuckerfest seine Familie besuchen konnte. Über Whatsapp berichtet er, er habe sich dann nach Pakistan durchgeschlagen. Jetzt arbeitet er wieder auf einer Baustelle und spart Geld, um ein weiteres Mal gen Europa zu aufzubrechen.
Aus dem Türkischen von Sabine Adatepe
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