Geflüchtete abgewiesen: Bangen um einen Schlafplatz

Eigentlich sollen Geflüchtete nach ihrer Ankunft in Berlin schnelle Hilfe bekommen. Seit dem Wochenende aber ist das Ankunftszentrum überlastet.

Familien mit Kindern stehen vor dem Ankunftszentrum in Wittenau Schlange.

Willkommen in Berlin: Erstmal Schlange stehen Foto: Timm Kühn

BERLIN taz | „Wir wollen schlafen!“, ruft ein junger, sichtlich mit den Nerven fertiger Mann in gebrochenem Deutsch. Er steht in einer Menschentraube vor dem Haus 24 des Ankunftszentrums (AkuZ) für Geflüchtete im Gebäudekomplex der ehemaligen Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik in Wittenau. Es sind etwa 60 Menschen, die am Dienstagabend um 21.30 Uhr darauf warten, wenigstens einen Schlafplatz zugewiesen zu bekommen.

Montagnacht hatte die Initiative „Moabit hilft“ Alarm geschlagen. Die Versorgung im AkuZ sei seit einigen Tagen „offenbar kollabiert“, hieß es in einer Mitteilung. Diana Henniges von der Initiative sagte zur taz, sie fühle sich „an die Lage im Jahr 2015“ erinnert. Damals waren in Berlin in einem Jahr über 50.000 Asylanträge registriert wurden. Zum Vergleich: 2021 waren es bis Ende Juni 2.841.

Sprach- und ortsfremde Menschen, die seit Stunden auf eine Aufnahme warten, würden aufgefordert, die Obdachlosenunterkünfte aufzusuchen – allerdings „ohne jegliche Gewähr, dass sie dort auch unterkommen können“, so Henniges. Letztlich würden die Geflüchteten so „in die Obdachlosigkeit geschickt“.

Das AkuZ ist die erste und einzige Anlaufstelle für Geflüchtete, wenn sie nach teils jahrelangen Strapazen in Berlin ankommen. Hier sollen sie mit Obdach, Nahrung und medizinischer Versorgung aufgefangen werden. Nach der Registrierung erhalten Geflüchtete hier ihren Ankunftsnachweis, ein wichtiges Dokument, das den Asylantrag überhaupt erst ermöglicht und den Zugang zu Sozialleistungen sichert. Auch eine Sozialberatung, in der das Asylprozedere erklärt wird, soll hier stattfinden.

Ausnahmesituation unbekannten Ausmaßes

Doch seit dem Wochenende scheint die Lage im Zentrum kritisch zu sein. Von einem Zusammenbruch will Michael Elias, Geschäftsführer von Tamaja, Träger des Ankunftszentrums dennoch nicht sprechen. „Die Versorgung von besonders vulnerablen Menschen, wie etwa von Familien mit Kindern, Kranken, Schwangeren oder von Menschen mit Behinderung“, sei „stets sichergestellt“ gewesen.

Elias bestätigte allerdings, dass es zu einer „Ausnahmesituation, wie sie so noch nicht geschehen ist“, gekommen sei. Am Samstag sei man „leider“ gezwungen gewesen, „Menschen abzuweisen“. Auch bestätigte er, dass „Informationsblätter“ mit den Adressen von Obdachlosenunterkünften ausgehändigt worden seien.

Sascha Langenbach, Sprecher des Landesamts für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF), erklärte auf taz-Anfrage, es sei eine „absolute Ausnahme“, dass Menschen abgewiesen werden. Betroffen gewesen seien „circa 15“ Personen am Samstagabend und „circa 8“ in der Nacht vom Sonntag. Man sei amstag an „Kapazitätsgrenzen“ gelangt, da es schon Freitag „einen großen Zustrom von Antragsteller:innen“ gegeben habe, ergänzte Elias. Insgesamt hätten „alle Beteiligten gut gearbeitet und auch die Nerven behalten“.

Vor Ort am Dienstagabend übersetzt eine Sprachmittlerin der Initiative „Moabit hilft“, was eine afghanische Familie – Vater, Sohn und Cousin – zu sagen hat, die ebenfalls auf eine Unterbringung wartet. Sie kämen direkt aus dem griechischen Flüchtlingslager Moria, erzählt Sohn Malik M. (Name geändert). Seit Montag würden sie auf Unterbringung und medizinische Versorgung warten.

Letzte Nacht seien sie von Securities fortgeschickt und aufgefordert worden am nächsten Morgen wiederzukommen. Untergekommen seien sie in der Nacht nur durch die Moabiter Hilfsinitiative, geschlafen hätten sie trotzdem keine Minute, erzählt M., dessen Augen rot unterlaufen sind. Ein anderer junger Mann berichtet, er habe die letzte Nacht im Treptower Park verbracht. Seit 45 Stunden warte er nun auf seine Aufnahme.

Plötzlicher Anstieg der Antragsstellenden

Unklar bleibt indes, was den plötzlichen Anstieg der Antragsstellenden ausgelöst haben könnte. Langenbach zufolge kommen viele Menschen aus der Republik Moldau – das Land gilt als das ärmste Europas. „Mehr als 200 Personen“ insgesamt und „etwa 50 pro Tag“ seien vergangenes Wochenende in Berlin angekommen. Der Sprecher betonte, dass „gut die Hälfte sogenannte Folgeantragssteller“ seien, die bereits „ein- oder mehrmals Anträge auf Asyl gestellt“ hätten, aber abgelehnt worden seien.

Elias erklärte zudem, wenn es zu langen Schlangen käme, sei das meist nicht auf die Erstversorgung, sondern auf die Registrierung zurückzuführen. In diesen Fällen sei für Unterkunft und Verpflegung „bereits gesorgt“.

Zumindest am Dienstagabend lässt aber auch die Unterbringung auf sich warten lässt. Tatsächlich stammen die meisten Familien, die hier warten, aus Moldau. Doch auch Menschen aus Afghanistan – wie die Familie M. – warten seit frühmorgens auf ein Bett.

Das LAF habe sich nun auf die Suche nach weiteren Unterbringungsmöglichkeiten begeben, so Langenbach. Am frühen Mittwochabend erklärte Stefan Strauß, Sprecher der Senatssozialverwaltung, der taz, inzwischen seien zwei aktuell leerstehende Unterkünfte als temporäre Erstaufnahmeeinrichtungen aufbereitet worden: eine auf dem Gelände mit 200 Betten, die andere in der Pankower Buchholzer Straße in einer ehemaligen Quarantäneunterkunft.

Zudem habe eine Zusammenarbeit mit dem Träger Amaro Foro e.V. begonnen, der muttersprachliche Beratungen anbiete. Das LAF gehe davon aus, dass sich „die Zahl der Geflüchteten, die nach Berlin kommen, weiter erhöhen wird“, so Langenbach.

Auch für etwa 60 Personen, die am Dienstagabend vor dem AkuZ warten, wird schließlich ein emporärer Schlafplatz gefunden. Bevor die Menschen von dannen ziehen, erhalten sie noch einen Plastikbeutel mit Brötchen und Bananen. Am nächsten Morgen werden sie sich wieder anstellen müssen.

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