Gefeuerter Staatssekretär in Berlin: Bursche hilft jetzt Obdachlosen
Michael Büge musste gehen, weil er nicht aus seiner Burschenschaft austreten wollte. Nun ist er Geschäftsführer der Bürgerhilfe – über deren Zuschüsse seine frühere Verwaltung entscheidet.
Der vor neun Monaten gefeuerte Staatssekretär für Soziales hat einen neuen Job: Michael Büge kümmert sich jetzt um Obdachlose. Der CDU-Politiker ist neuer Geschäftsführer der Bürgerhilfe, deren rund 90 Mitarbeiter an 15 Standorten betreutes Wohnen anbieten. Das Unternehmen finanziert sich hauptsächlich aus öffentlichen Mitteln – über deren Höhe Büges früherer Arbeitgeber, die Senatsverwaltung für Soziales, entscheidet.
Grüne und Lobbycontrol kritisieren den schnellen Wechsel von der einen auf die andere Seite und fordern längere Karenzzeiten. Auch unter den Mitarbeitern der Bürgerhilfe sind nicht alle glücklich über ihren neuen Chef. Schließlich wurde Büge als Staatssekretär entlassen, weil er seine Mitgliedschaft in der rechten Burschenschaft Gothia nicht aufgeben wollte. Bei der Bürgerhilfe fürchten jetzt einige der Mitarbeiter, dass sie mit der Burschenschaft in Verbindung gebracht werden.
„Nichteuropäisches“ Aussehen
Ende 2012 wurde öffentlich bekannt, dass Büge ein „Alter Herr“ der Gothia ist, die wiederum Mitglied im Dachverband Deutsche Burschenschaft ist. Der Verband hatte sich in den letzten Jahren intern etwa darum gestritten, ob Mitglied einer Burschenschaft werden kann, wer nach Ansicht der Burschen nicht so aussieht, als ob er europäische Vorfahren hätte. Festmachen wollten die Burschenschaftler das anhand einer „nichteuropäischen Gesichts- und Körpermorphologie“. Umstritten war auch, ob Rechtsextreme in dem Verband Führungspositionen einnehmen sollten. Nachdem die vergleichsweise liberalen Burschenschaften in dem Richtungsstreit unterlagen, ist von den gut 120 Burschenschaften inzwischen die Hälfte ausgetreten. Büges Burschenschaft blieb drin.
Sozialsenator Mario Czaja (CDU) hatte 2012 zunächst versucht, Büge zu stützen. Er sagte, Büge habe sich von „jeglichem rechtsextremem oder verfassungsfeindlichem Gedankengut distanziert“. Die Entscheidung für die Burschenschaft sei seine private Entscheidung. „Als Staatssekretär hat er sowohl nach innen als auch nach außen erfolgreich gewirkt.“
Als die Kritik zunahm, versprach Büge im Dezember 2012, er werde sich für einen Austritt der Gothia aus dem Dachverband einsetzen. Sollte dies nicht geschehen, werde er aus der Verbindung austreten. Doch nichts davon passierte. Als die Kritik – auch vom Koalitionspartner SPD – über Monate hinweg nicht abreißen wollte, sah sich Senator Czaja zum Handeln gezwungen und ließ seinen Staatssekretär im Mai 2013 fallen.
In der CDU allerdings schadete Büge die Debatte offenbar nicht: Bis heute ist er Vorsitzender des Kreisverbands Neukölln. Und jetzt hat sich auch wieder eine hauptamtliche Tätigkeit für ihn gefunden: Ziel der Bürgerhilfe ist es laut ihrer Eigendarstellung, „Menschen, die durch Verlust von Arbeit, von Wohnraum oder durch Suchtkrankheit in Not geraten sind, zu unterstützen und zu fördern“. Verantwortlich für Büges Anstellung als Geschäftsführer ist der Trägerverein der Bürgerhilfe. Vorstandsvorsitzender dort: Horst Gedack, Vorsitzender des CDU-Ortsverbandes Kleistpark.
Ist hier eine CDU-Seilschaft am Werk, die sich darum kümmert, dass ein öffentlich in die Kritik geratener und nicht mehr haltbarer Burschenschaftler zwar als Staatssekretär abtreten muss, anschließend aber einen Versorgungsposten erhält? Büge war über das Büro der Bürgerhilfe nicht für eine Stellungnahme für die taz zu erreichen.
Auskunftsfreudiger ist dagegen ein Mitarbeiter, der jedoch aus Angst vor arbeitsrechtlichen Konsequenzen seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. „Die Belegschaft ist not amused“, sagt er. Es werde befürchtet, dass die Sache mit der Burschenschaft auf die Bürgerhilfe abfärbt: „Die Frage ist, wie die Kooperationspartner reagieren.“ Als Büge sich am Montag auf einer Mitarbeiterversammlung im Nachbarschaftshaus Urbanstraße in Kreuzberg vorstellte, sei die Stimmung frostig gewesen: Von den rund 40 Mitarbeitern hätten nur drei oder vier geklatscht. Der Mitarbeiter erzählt auch, in der Belegschaft sei gerade ein Protestschreiben gegen Büge in Arbeit, in dem auch darauf verwiesen werden solle, dass Werte der Burschenschaft nicht mit dem Leitbild der Bürgerhilfe vereinbar seien.
Der neue Job gibt Büge auch die Möglichkeit, wieder häufiger beruflich mit seinem alten Arbeitgeber in Kontakt zu kommen. Die Sozialverwaltung ist dafür zuständig, mit freien Trägern wie der Bürgerhilfe über Umfang und Qualität der jeweiligen Betreuung zu verhandeln sowie über die Höhe der Bezahlung. Für die Kriseneinrichtung für Frauen am Oraniendamm in Reinickendorf zum Beispiel erhält die Bürgerhilfe 119,91 Euro Tagessatz pro betreute Frau.
„Das sieht nach einer Interessenkollision aus“, meint der Grünen-Rechtspolitiker Dirk Behrendt. Es habe „ein Geschmäckle, wenn Büge von dem Geld, das er vorher in der Senatsverwaltung ausgegeben hat, jetzt sein Gehalt bezieht“. Es wäre besser gewesen, Büge hätte vor Antritt des neuen Jobs „eine gewisse Abkühlphase verstreichen“ lassen. Für Senatoren schlagen die Grünen solch eine zweijährige Phase vor. Sonst entstehe „der böse Schein der Käuflichkeit“.
Der Verein Lobbycontrol fordert ebenfalls eine „Abkühlzeit“, und zwar von gleich drei Jahren. Natürlich nicht für jede neuen Anstellung, sondern nur, „wenn Politiker in ihrem neuen Job Kontakte zu ihrer früheren Regierung haben“, sagt Lobbycontrol-Geschäftsführer Ulrich Müller. Hier in diesem konkreten Fall sei die Sache sogar „besonders heikel, falls Herr Büge in seiner neuen Funktion Kontakt zu dem gleichen Bereich der Senatsverwaltung hat, in dem er vorher gearbeitet hat“. Müller: „Wer aus einer Regierung ausscheidet, nimmt Insiderwissen und Insiderkontakte mit, und es gibt die Gefahr, dass der neue Arbeitgeber später genau deshalb bevorzugt wird.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Autobranche in der Krise
Kaum einer will die E-Autos
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“
Trumps Krieg gegen die Forschung
Byebye Wissenschaftsfreiheit
Altvordere sollen Linke retten
Hoffen auf die „Silberlocken“
Menschenrechtsverletzungen durch Israel
„So kann man Terror nicht bekämpfen“
Ungelöstes Problem der Erneuerbaren
Ein November voller Dunkelflauten