Gefeuerte Kieler Kultusministerin: "Ich habe das Macho-Gehabe satt"
Schleswig-Holsteins Kultusministerin Erdsiek-Rave (SPD) ist empört über den Stil ihrer Entlassung durch Ministerpäsident Carstensen (CDU). Dieser sei "respektlos und feige" gewesen.
Frau Erdsiek-Rave, beginnt der holsteinische Schulkrieg jetzt erneut?
Ute Erdsiek-Rave: Das kann ich mir nicht vorstellen. Die Schulen sind eigenständig, stark und selbstbewusst. Die werden sich ihre Umgestaltung zu Gemeinschaftsschulen nicht mehr nehmen lassen.
Der Streit um diese Gemeinschaftsschule mit der CDU war heftig - vor der letzten Wahl. Wird er wieder kommen?
Man ist nie davor gefeit, das sinnlose Grabenkämpfe gegen das gemeinsame Lernen wieder aufgenommen werden. Aber ich glaube, dass das in der Bevölkerung nicht mehr verfängt. Es gibt heute zu viele CDU-Bürgermeister, die das Potenzial der Gemeinschaftsschulen erkannt haben und sie wirklich wollen. Sie tun alles dafür, dass die in ihren Orten optimal ausgestattet werden.
Sie waren die erste Schulministerin, die nach Pisa energisch eine Korrektur der Schulpolitik vorgenommen hat. Warum ist Ihnen das so wichtig?
Weil es zutiefst unsozial ist, die Kinder im frühen Alter von zehn Jahren auf verschiedene Schulformen aufzuteilen. Das ist einer Demokratie unwürdig.
Die jetzt 94 Gemeinschaftsschulen müssen ihr Potenzial erst entfalten. Was passiert, wenn ein Schulminister die Reform hintertreibt?
Man kann jede Reform hintertreiben. Wenn man den Schulen die Förderstunden wegnähme oder die Verbesserung der Lehrerausstattung nicht käme. Aber ich glaube, dass vor Ort zu viel passiert ist. Die Gemeinschaftsschule ist ein Renner.
Die FAZ schreibt, auch die CDU habe die Gemeinschaftsschule angenommen. Wie das?
Das Konzept ist in den Köpfen der Menschen angekommen. Vielleicht hat das auch mit meinem Politikstil zu tun. Mir ist es gelungen, ohne zu polarisieren und ohne Konfrontationskurs das voranzutreiben, was für die Schüler und die Schulen vor allem auf dem flachen Land das beste ist. Der Ministerpräsident hat mich übrigens darin unterstützt.
Sie haben ein gutes Verhältnis zu Carstensen?
Ja, das hatte ich. Deswegen habe ich umso weniger verstanden, wie er sich zu einem so unwürdigen und respektlosen Abschied hinreißen lassen konnte.
Was meinen Sie damit?
Ich mag nicht akzeptieren, dass er, ohne mich persönlich davon zu informieren, meine Entlassung betrieben hat. Er sitzt neben mir auf der Regierungsbank und hat nicht den Anstand, etwas zu sagen. Stattdessen ruft seine Staatskanzlei um halb vier am Nachmittag an und sagt, man könne um halb sechs seine Entlassungsurkunde abholen. Das fand ich feige.
Pardon, ist das nicht ein wenig sentimental, sie machten Politik und keine WG!
Das ist kein Grund, jemanden binnen 24 Stunden aus dem Ministerium zu verjagen, als hätte man silberne Löffel geklaut. Ich bin persönlich enttäuscht.
Was war gut an Herrn Carstensen?
Er hat zu dem gestanden, was wir verabredet haben. Er hat das Streitthema Schulreform wichtiger genommen als andere CDUler. Und er hat dafür auch Ressourcen bereitgestellt. Man konnte sich auf sein Wort verlassen - bis die Regierung ins Schleudern kam.
Wie können Sie gegen so jemanden Wahlkampf machen?
Man kann gute Politik für die Menschen machen, ohne ständig gegen Personen herumzustänkern. Ich habe das ganze Männer-Macho-Gehabe satt.
Was passiert mit den Schulen, wenn Schwarz-Gelb regiert?
Regierungswechsel sind keine Naturkatastrophen. Man muss keine Horroszenarien entwickeln. Mir geht es um Inhalte und darum, dass wir weiter Fortschritte machen. Mir ist zum Beispiel wichtig, dass wir Inklusion ermöglichen - also die Beteiligung von Kindern mit besonderen Bedürfnissen in den Schulen von Anfang an. Wir sollten die UN-Konvention für die Rechte behinderter Kinder umsetzen - das ist wichtiger als Wahlkampf.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen