: Gefangen im eigenen Land
In Afghanistan befinden sich zehntausende Menschen auf der Flucht vor drohenden militärischen Aktionen der USA. Die meisten wollen in die Nachbarländer. Jetzt schließt nach dem Iran und Pakistan auch Tadschikistan seine Grenzen
PESCHAWAR/DUSCHANBE dpa/afp/taz ■ „Sie bereiten sich auf einen großen Krieg vor“, schildert ein afghanischer Flüchtling die Lage in seinem Heimatland. „Die Taliban sind sehr nervös“, berichtet der 41-Jährige, dem die Flucht ins pakistanische Peschawar gelang.
Zehntausende Afghanen sind auf der Flucht aus Angst vor Vergeltungsangriffen nach den Terroranschlägen gegen die USA. Laut dem „Innenminister“ der selbst ernannten Taliban-Regierung, Mullah Abdul Rasak Achund, wurden die Sicherheitsvorkehrungen in der Hauptstadt weiter verschärft. Allein über den Grenzübergang Kamman hätten sich in den vergangenen Tagen 35.000 Afghanen ins benachbarte Pakistan gerettet, wie die die lokale Presse berichtete.
Die ausweglose Situation wird durch die Schließungen der Grenzen der Nachbarländer Pakistan, Iran und seit gestern auch Tadschikistan verschärft. „Nicht ein Flüchtling aus Afghanistan darf über die Grenze gelangen“, so der tadschikische Staatschef Emomali Rachmonow gestern.
Im Grenzgebiet halten sich seit längerem etwa 10.000 Flüchtlinge auf afghanischer Seite auf. Tadschikistan habe wegen einer anhaltenden Dürre selbst zu wenig Lebensmittel, betonte Rachmonow. Zudem fürchte man „Agenten extremistischer Organisationen“.
Hilfsorganisationen warnen unterdessen vor einer verheerenden humanitäre Krise in dem ohnehin von Krieg, Bürgerkrieg und einer lang anhaltenden Dürre gezeichneten Land. Die Flüchtlingslager in Afghanistan, an den Grenzen und in den Nachbarländern können einen weiteren Flüchtlingsansturm nicht verkraften. Außerdem haben fast alle Hilfsorganisationen ihr ausländisches Personal aus Afghanistan abgezogen.
Die Versorgung von rund 5 Millionen Afghanen – 20 Prozent der Bevölkerung – hängt von Nahrungsmittellieferungen von außen ab. Ihre Lebensmittelvorräte reichten höchstens für drei Wochen, sagten Vertreter des World Food Program (WFP) in Rom. UN-Organisationen versuchen nun, durch verstärkte Hilfe in den Nachbarländern das Elend der afghanischen Bevölkerung zumindest ein wenig zu lindern.
Diese neuen Entwicklungen in Afghanistan treffen indessen ein Land, das bereits unter extremer Nahrungmittelknappheit zu leiden hat. 90 Prozent der Bevölkerung besitzen zudem keine angemessenen sanitären Anlagen. Diese prekären Lebensbedingungen werden nun durch die Fluchtbewegungen und dem nahenden Winter verschlimmert.
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