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Gefallene Buben

Jugendkultur als Anachronismus: Eine kurze Geschichte und Phänomenologie des Skinheads  ■ Von Dick Hebdidge

„Ich weiß nicht, warum ich gerne Skin bin. Ich bin es einfach. Aber ich weiß nicht, warum die Leute uns alle als Hooligans zusammenschmeißen, die nicht sauber sind. In jeder Gruppe gibt es miese Typen. Aber sie drucken es ja nicht, wenn ein Nigger 'ne olle Tussi fertigmacht. Wird uns jemand eine faire Chance geben. Und wegen dem Aufhören: Ich glaube, ich bleibe ein Skin.“ (Harry the Duck – Zum Skin geboren)

Ich traf den 16jährigen Skin Harry the Duck 1981 an einem heißen Julinachmittag in einer Ost- Londoner Straße. Ich bat ihn aufzuschreiben, was ihm am Stil der Skinheads gefiel, und nachdem er ein bißchen nachgedacht hatte, schrieb er die obigen Zeilen. Was er produzierte, war eine typische Skin-Erklärung, ein Dokument wie andere Dokumente, abgeliefert mit der gleichen Pose der Selbstverständlichkeit wie ein Graffito an der Mauer einer Behörde oder ein Stiefel im Schaufenster eines asiatischen Ladenbesitzers oder eine Flasche mit Benzin im Briefkasten einer bengalischen Familie (solche Dinge passieren, es ist nicht nur Medienrummel). Das Dokument spricht mit dem unverwechselbaren Akzent der Innenstadt aus dem Zentrum einer Welt, die jedem vertraut ist, wenn auch nur aus den Schlagzeilen der Sun, einer Welt voller „Sozialprobleme“, in der die Schuldigen und die Opfer leben. „Nigger“, „Hooligans“, „olle Tussis“, das ist die Stimme eines England, das keine Geduld mehr aufbringen will. Es zeigen sich in ihr alle Krankheitssymptome: Gewalttätigkeit, Ressentiment, ein unreifer, bitterer Zorn, der willkürlich sein Ziel auswählt, Rassismus.

Geometrie der Drohung

Harry ist der sprichwörtliche Skin. Er verkörpert, was jeder für „typisch Skinhead“ hält, einschließlich der Presse, besonders der Presse. Er ist unbeholfen, nicht gerade hell und kann kaum schreiben. Er bietet keinen gefälligen Anblick. Von dem dünnen Film seiner karottenfarbenen Haare, die seinen Skalp be-, aber nicht verdecken, bis zu seinen glänzenden Doc-Martens-Stiefeln hat Harry sich ein Aussehen zugelegt, das jeden, der heutzutage auch nur ein bißchen zu verlieren hat, auf die andere Seite der Straße treibt. Er ist der Alptraum des Sozialarbeiters. Er entspricht keiner der zahlreichen Fiktionen, in denen eine lange Reihe von Sozialreformern und Slum-Missionaren in den letzten hundert Jahren die Arbeiterklasse sehen wollte. Er ist weder dankbar noch zerknirscht. Er ist nicht immer heroisch-rebellisch. Statt dessen ist er so unverständlich wie die verwischten Tätowierungen, die seine mageren Arme schmücken, so verworren wie seine eigenen Worte. Er ist unlesbar und daher unregierbar, eine wandelnde Anklage gegen die sympathisierende Mittelklassen- Sensibilität, die ihn verstehen und zugleich auf den geraden, aber schmalen Weg zu bringen sucht. Er erfüllt das traditionellste aller Stereotype – der Mann aus der Arbeiterklasse, der abgerutscht ist. Er ist der Tölpel, der Wilde, der Schläger aus den Büchern von Charles Dickens und tausend offiziellen Berichten über Jugendkriminalität.

Jeder Skinhead weiß das alles, instinktiv. Ihr Stil erinnert an einige der frühesten Bilder aus den britischen Slums (in der viktorianischen Zeit war der geschorene Kopf ihr Kennzeichen. Sobald ein Junge aus dem Slums in eine Besserungsanstalt oder ein Erziehungsheim kam, wurde ihm das Haar abgeschoren, gegen die Läuse). Der Skinhead-Stil, bei all seiner scheinbaren Plumpheit, ist eine bewußt eingenommene Pose, eine bewußte Hinwendung zu früheren, selbstverständlicheren Zeiten, als Männer noch Männer waren und die Mädchen durch dick und dünn zu ihren Kerlen hielten, als man den sozialen Status eines Menschen mit einem Blick auf seine Schuhe oder an seinem Gang erkennen konnte.

Man braucht sich bloß anzusehen, wie sich ein Skinhead bewegt. Der Haltung gilt ebensoviel Sorgfalt wie der Länge der roten Hosenträger oder dem Haar. An den Aufschlägen wird viel herumgezupft. Der Kopf ragt heraus, als trüge der Skin einen altmodischen Kragen, der ihm zu eng ist. Die Zigarette, mit der Spitze nach innen zur Handfläche, wird in einem übertriebenen Bogen vom Mund herab- und hinter den Rücken geführt. Es ist eine Geste, die an Kasernen und Erziehungsheime erinnert, an das heimliche Rauchen beim Appell. Das ist der Tanz der Skins.

Man vergleiche ihn damit, wie ein Polizist seine Streife geht, oder mit dem lässigen Flanieren von Prinz Philip, wenn er seiner Frau auf einem Spaziergang folgt. Prinz und Polizist, die Hände selbstsicher hinter dem Rücken vereint, bewegen sich, als gehöre ihnen die Welt. Skinheads dagegen sind nervös und hektisch. Sie springen ständig aus dem Rahmen. Sie stehen immer auf den Zehenspitzen, bereit, auf die leiseste Provokation zu reagieren oder ihre kümmerlichen Besitztümer zu verteidigen (einen Fußball, eine Kneipe, eine Straße, einen Ruf).

Der Tanz der Skins ist daher sogar bei den Mädchen eine Nachahmung unbeholfener Männlichkeit– eine Geometrie der Drohung. Denn Skinheads spielen mit der einzigen Macht, die ihnen zur Verfügung steht – daß sie nichts (oder nicht viel) zu verlieren haben. Der Stil, mit anderen Worten, macht Sinn. Im Gegensatz zum Medienstereotyp vom gedankenlosen Skinhead hat er seine eigene innere Logik, seine Regeln und Gründe. Zwei Obsessionen beherrschen ihn: Authentisch sein und britisch sein.

Authentisch sein

Die meisten Skinheads sehen sich als aufrechte Kerle und Mädchen, ehrlicher als die Soul Boys, mehr Arbeiterklasse als die Punks und die Posers, rauher und zäher als die Mods. Der Skinhead-Geschmack ist right down to earth. Deshalb behaupten eine Menge Skins, die einzige „authentische“ Musik sei der echte jamaikanische Ska und Rocksteady, Anfang bis Mitte der Sechziger. Andere beziehen sich auf guten Two-Tone oder Madness oder Sham 69, bevor die sich „verkauft haben“.

Und natürlich wurde Oi-Musik für eben diesen desillusionierten Neoskinhead-Markt erfunden. „Oi begann, nachdem Sham 69 berühmt geworden war“, sagt Roy, Gitarrist bei The Last Resort, „ganz plötzlich wollten sie keine Skins mehr kennen. Und wir hatten sie doch überhaupt erst dorthin gebracht. Die Sham-Army...“

Oi ist eine rituelle Reinigung von allem, was nicht nach der Stimme des mit dem Rücken zur Wand stehenden Mobs klingt. Er will alle „Unreinheiten“ des „weichen“, „angeberischen“ Nachpunk-Rock ausmerzen – die „Künstlichkeit“, das „Unheimliche“, die weitschweifige Lyrik, den studioabhängigen Elektroniksound, den Flirt mit sexuell mehrdeutigen Bildern. All diese „Schandflecken“ sind im guten altmodischen Oi verschwunden.

Krieg der Heftchen

Oberflächlich gesehen spielt Oi eine ähnliche Rolle wie der frühe Punk – er will den Rock auf seine Grundlage zurückführen, der Musik eine Note von Klassenkampf zurückgeben, eine ursprüngliche Aura von Delinquenz wiederbeleben. Das „verzweifelte“ Image sowohl von Skins als auch von Punks hat zu dem Eindruck geführt, diese Subkulturen hätten ihren Platz ausschließlich auf der Straße, wären vollkommen unberührt von kommerziellen Einflüssen. Und doch spielt die Popmusik-Presse eine Schlüsselrolle bei der Herausbildung neuer Sounds und Stile.

Die Rockwochenzeitung Sounds, das weiß inzwischen jeder, war ausschlaggebend für den Start von Oi. Anfang '81 versuchte sie für Oi, was der New Musical Express für den frühen Punk geleistet hatte: die Rolle einer Hebamme zu spielen – Richtunggeber und Propagandist für eine Rockbewegung mit politischen Obertönen. 1977 hatte es der New Musical Express geschafft, eine Menge Punks vom Nihilismus der Sex Pistols abzubringen und zu Rock against Racism und in die Anti-Nazi-Liga herüberzuholen. Sounds mußte einen anderen Weg einschlagen, um Oi bekannt und populär zu machen. Die Rhetorik war noch immer aggressiv populistisch, aber plötzlich erschienen als Feind neben den „verrückten Nazis“ auch „Hippie-Sozialarbeiter“ und „machiavellistische Mittelklassekommunisten“, die versuchten, aus der „authentischen“ Arbeiterjugend moralisches und politisches Kapital zu schlagen.

Das Feld war somit bereitet für die Wiederbelebung. Ein neues Frankenstein-Ungeheuer sollte auf den Titelseiten der Skandalpresse erscheinen – der protofaschistische Skinhead, die Geißel der Einwanderer und hilflosen Rentner. Denn obwohl Sounds sich immer verzweifelter abmühte, die Skins von den Hakenkreuzen zu trennen, erschien vielen Beobachtern der Zusammenhang zwischen dem Zeitpunkt der Wiederbelebung der Skinheads und dem Wiederaufstieg rechtsextremer Politik in den Ghettos der Innenstadt zu eng für einen reinen Zufall. Die extremen Ränder der Skinhead-Bewegung sahen im Hakenkreuz offensichtlich wieder das Symbol der Nazis. Es wurde aus dem Kontext der Punk-Plakate gerissen, auf denen es die frühen Punks neben Hammer und Sichel plaziert hatten, neben die Slogans von IRA und PLO und all die anderen Symbole, mit denen sie bei den guten Bürgern Haare und Augenbrauen zu Berge stehen lassen konnten. 1981 konnte man nicht mehr so tun, als sei es nur ein mieser Witz, ein Hakenkreuz zu tragen. Der Ausdruck „schwarzer Humor“ bekam einen völlig anderen Klang, wenn man einmal die rassistischen Programme der Komödianten in den Clubs und Kneipen um die Brick Lane oder die Mile End Road erlebt hatte. Wer 1981 ein Hakenkreuz trug, wollte zum Ausdruck bringen, daß etwas Reales im Gange war.

Im Juli, in der Hamborough Tavern in Southall, platzte schließlich der Knoten. Frankenstein hatte seinen Auftritt. Skinheads aus der ganzen Hauptstadt hatten sich gesammelt, um einen Auftritt der 4-Skins mitten in Londons asiatischer Gemeinde zu erleben. Die Analogie zur Falkland-Krise und dem Falkland-„Geist“ erscheint heute völlig offensichtlich: echte britische Jungs, die entschlossen waren, die besten Traditionen der Arbeiterklasse zu bewahren – den Humor, die Kameradschaft, das Bewußtsein gemeinsamer Erfahrungen und gemeinsamer Leiden. Die Coronation Street zum Beispiel bezieht einen Teil ihres Reizes aus dieser Art Nostalgie. Bloß: Heutzutage kann Nostalgie gefährlich werden. Aus Nostalgie mögen Leute sich in Blackpool einhaken und singen, beim Parteitag der Labour Party oder beim jährlichen Festbesäufnis der Darts- Mannschaft, aber aus Nostalgie wirft vielleicht auch eine Gruppe Skins Ziegelsteine ins Schaufenster eines Pakistani. Denn im gegenwärtigen Klima verkommt der Drang, die Klassengrenzen mittels der Klassenkultur aufrechtzuerhalten, nur allzu leicht zur Beschäftigung mit der Rasse, mit dem Mythos, man müsse weiß sein, um Brite zu sein. Schließlich gab es in der britischen Arbeiterklasse vor dem Krieg nur wenige Leute aus Asien oder Westindien. Und in der Coronation Street sieht man nur selten schwarze oder braune Gesichter.

Weiße Ethnizität

Ethnizität läßt sich definieren als eine Identifikation mit realen oder eingebildeten rassischen oder nationalen Traditionen. Gewöhnlich verbindet sie sich mit unterdrückten Minderheiten. Die Rastafaris mit der Betonung ihres afrikanischen Erbes bilden in unserem Lande das Musterbeispiel für eine kulturelle Bewegung, die sich auf die Ethnizität gründet. Aber auch Weiße können sich für die Ethnizität entscheiden, wenn sie sich vernachlässigt oder ausgeschlossen vorkommen. „Die Kanaken haben ihre eigene Kultur“, sagte Micky, ein Ost-Londoner Mitte 30. „Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich habe viele farbige Freunde. Und das sind anständige Leute. Aber sie haben ihre eigene Kultur. Die Pakistanis haben eine Kultur. Sie ist Tausende Jahre alt. Aber

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wo ist unsere Kultur? Wo ist die britische Kultur? Man trägt die Fahne, und alle schreien, man wäre ein Nazi. Aber es hat überhaupt nichts mit den Nazis zu tun, soweit es mich angeht... Wir kämpften gegen die Deutschen, wir Londoner... Sie (die Skinheads) tragen die Fahne, weil sie Patrioten sind. Was ist falsch daran, Patriot zu sein? Dies hier ist England. Und die leben hier nicht. Sie wissen nichts davon... (lacht) Sie leben in abgeschlossenen Vierteln. Fahren in einem Rolls herum.“

Der Skinhead-Stil ist eine defensive Betonung der weißen Hautfarbe, so wie Rasta seine schwarzen kulturellen Wurzeln feiert. Beide können als echte Versuche gelten, aus nichts etwas zu machen, Versuche, wenigstens etwas zu kriegen, und wenn es nur Gelächter über ein Leben ist, das mit 16 Jahren oft nur noch aus einer Ansammlung von Steinmauern besteht mit der Aufschrift „Arbeitslosigkeit“, „Scheißjobs“ und „Dauernd Ärger mit den Bullen“. Der Skinhead zieht sich in seine weiße Ethnizität zurück: Es ist keine Überraschung, daß ein arbeitsloser 17jähriger Klempner namens Chas, mit dem ich sprach, sich einen englischen Löwen auf den Oberarm tätowiert hat und einen Anstecker „White Power“ trägt: „Ein Rasta kann einen Anstecker tragen: Black is beautiful, und alle finden das toll“, erzählte mir Chas. „Ich trage einen Anstecker: Weiß ist schön und gelte als Rassist...“

Was soll ich in so einem Fall sagen? Daß es Westindern noch schlechter geht? Daß wir nicht vergessen dürfen, wie vor 300 Jahren britische Sklavenhändler Millionen Afrikaner um die halbe Welt verschleppten, damit sie auf britischen Zuckerplantagen in der Karibik arbeiteten? Daß wir nicht vergessen dürfen, daß Schwarze und Asiaten in diesem Lande nicht nur ebenso benachteiligt sind wie Chas, sondern außerdem auch noch wegen ihrer Hautfarbe diskriminiert werden? Das stimmt natürlich alles, aber es kommt bei Chas nicht an, weil... wo ist das „wir“, das mich mit Chas verbinden könnte? Ich lebe nicht wie er mit meiner „Mam“ in Tottenham in einer Sozialwohnung aus den dreißiger Jahren. Und wahrscheinlich hat Chas' Opa vom British Empire nicht viel mehr gehabt, als daß er zwei oder drei Jahre als Soldat in Indien war, für zwei oder drei Jahre lang die Rettung vor der Arbeitslosigkeit.

Vom Es zum Er

Also die Ethnizität. Was für ein anderes Bild könnte der Linke zum Beispiel Chas anbieten, das seiner eigenen Erfahrung und Weltsicht entspräche? Daß er das „Salz der Erde“ ist? Roy, der Skinhead-Gitarrist, drückt es so aus: „Alle Skins sind für die Fahne, aber das heißt doch nicht, daß die alle Neonazis sind oder für das British Movement. Wie soll ich es ausdrücken?... Sie waren auf der Universität, also gehen Sie in die Socialist Workers Party oder was auch immer. Natürlich. Für Leute wie mich ist es natürlich, Patriot zu sein und bei den Kumpels zu bleiben...“

Subkulturen sind eine Ansammlung von Widersprüchen. Obwohl sie manchmal lose mit einer bestimmten Richtung der Politik einhergehen können, ist dieses Bündnis unregelmäßig und vorübergehend. Es gibt schwarze Skinheads und sozialdemokratische Skinheads. Es gibt Skinheads, die bei den nächsten Wahlen konservativ wählen, Labour, kommunistisch oder sozialdemokratisch. Und es gibt Skinheads, die Faschisten sind. Die meisten Skinheads wählen wahrscheinlich überhaupt nicht. Die meisten Skinheads (wie die meisten jungen Menschen in Großbritannien) interessieren sich für alles, nur nicht für organisierte Politik in jeder Form.

Auch bei Skinhead-Mitgliedschaften in rechtsextremen Parteien nimmt der Enthusiasmus mit der Dauer der Mitgliedschaft ab. „Ich ging in das British Movement“, erzählte mir ein Skin, „so zum Spaß. Aber sie erzählten dauernd was von Hitler. Der ist tot. Ich habe nicht kapiert, wozu das gut sein sollte...“ Im allgemeinen kursieren unter Skinheads rassistische Witze und Bemerkungen nicht häufiger oder bewußter als sonstwo im allgemeinen Fluß der Rede der weißen Arbeiter. Das soll nicht heißen, diese Art Rassismus sei ungefährlich. Aber es läßt vermuten, daß Rassismus im Bewußtsein der gesamten Arbeiterjugend zu tief verwurzelt ist, als daß dafür nur die Skins verantwortlich sein könnten.

Inzwischen erfüllt das Stereotyp vom Skinhead und der Nationalen Front eine breitere Funktion. Es dient auf bestimmte Art der liberalen Suche nach Sündenböcken, und die ist ebenso falsch wie die „Argumentation“ (auch der Presse), in der jeder schwarze Junge ein Straßenräuber ist. Die Spannungen und Ängste, die unvermeidlich auftreten, wenn eine rassisch mehr oder weniger homogene Gesellschaft ihre Homogenität verliert, werden auf eine einzelne Figur übertragen – auf den gefährlichen Jungen mit den Stiefeln. Auf diese Art wird ein Es– die häßliche Realität des Rassismus – zu einem Er, dem Skin. Es hat einen Namen, es hat ein Gesicht.

Wirkliche Skins sind viel weniger eindeutig als das Stereotyp. Schließlich bieten Subkulturen keine Lösungen für materielle Probleme. Sie wiederholen die Probleme symbolisch im Spiel, aber der Stil allein kann die Kluft zwischen widersprüchlichen Reaktionen nicht überbrücken. „Ich mag keine Schwarzen“, sagte ein Skin. „Ich will sie nicht in diesem Land. Aber schreiben Sie meinen Namen nicht. Viele von meinen Kumpels sind schwarz, und ein paar sind ziemlich empfindlich.“

Ein rotgesichtiger Skin, sonnenverbrannt vom einzigen schönen Tag im letzten Juni, sitzt auf dem Markt an der Petticoat Lane am späten Nachmittag in einem leeren Stand. Er erzählt mir, die Nationale Front sei „ein Haufen Mist“, die Politiker sind „reine Zeitverschwendung“, und wenn er seine Mam besucht, „hängt sie mir immer wegen einem Job im Genick...Manchmal denke ich, ich mache in Abendkursen das Abitur nach. Aber ich weiß nicht wozu. Ich bin zu weit hintendran. Ich kann mir noch nicht mal vorstellen, daß ich das aufholen könnte. Was für ein Staat. Mittlerweile sind sie doch wohl noch mieser, oder nicht? Das ganze Land ist jetzt noch mieser...“

Der Prophet mit den Stiefeln. Er macht den Mund auf, und plötzlich wird der „bedrohliche Schläger“ einfach zu einem Jungen, der keine Zukunft sieht. Wie Harry the Duck ist er ein Anachronismus, außerhalb seiner Zeit, weil die Wahrheit brutal ist: Die Wirtschaft braucht immer weniger mechanische Fertigkeiten. Historisch gesehen ist die Klasse der Handarbeiter im Aussterben. Ihren Höhepunkt hatte sie in Ländern wie dem unseren. Aber inzwischen müssen die Harrys und die Chas und die Roys sich durchschlagen, so gut sie können – Opfer einer ökonomischen Umschichtung, die im Munde braver Bürger manchmal „Personalabbau“ heißt.

Aber letzten Endes ist nicht alles so schlimm. Man kann sich immer in die tiefsten Ängste anderer kleiden. Es gibt immer Angeberei und die anderen Jungs. Und, als letzte Möglichkeit, kann man sich immer noch selber auf den Abfall werfen, bevor sie es tun. Ich fragte mal einen 14jährigen, der das Wort Skin auf die Stirn tätowiert hatte, was er tun würde, wenn er jemals den Glauben an die Sache verlöre. „Ich schneid' mir den Kopp ab“, sagte er grinsend, „oder ich lass' mir 'nen Pony schneiden.“

Aus dem Englischen von Meino Büning

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