Gefährliches Pestizid zugelassen: Gift für den Osterhasen
Die zuständige Behörde erlaubt per „Notfallgenehmigung“ ein Pestizid, das Feldhasen gefährdet. Und das ausgerechnet zur Osterzeit.

BERLIN taz | Der Osterhase soll auch dieses Jahr wieder die Eier bringen. Doch wenige Tage zuvor hat das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) ein für Hasen gefährliches Pestizid erlaubt: Wie in den Vorjahren dürfen Landwirte mit dem eigentlich in Deutschland verbotenen Mittel Afalon 450 SC vier Monate lang Feldsalate gegen bestimmte Unkräuter schützen. „Es steht keine praktikable Alternative zur Verfügung“, sagte Behördensprecher Andreas Tief der taz.
Der Fall hat grundsätzliche Bedeutung, weil das BVL über so genannte Notfallgenehmigungen immer wieder eigentlich verbotene Pestizide auf den Markt lässt oder bestehende Zulassungen erweitert. Im vergangenen Jahr zum Beispiel hat es 36 solcher Erlaubnisse erteilt. Darunter sind Mittel die aus gutem Grund keine Dauerzulassung haben: zum Beispiel ein Insektenvernichter mit dem Wirkstoff Clothianidin, den die EU-Behörde für Lebensmittelsicherheit als akute Gefahr für Honigbienen eingestuft hat.
Auch Linuron, der Wirkstoff des nun vorübergehend erlaubten Unkrautvernichtungsmittels Afalon, ist gefährlich – zum Beispiel für Hasen. Das Umweltbundesamt lehnt eine Dauerzulassung ab, weil sie „zu unvertretbaren Auswirkungen auf freilebende Säuger, zum Beispiel Hasen, führen würde“, wie der zuständige Fachgebietsleiter Jörn Wogram mitteilt. Das Mittel könne die Fortpflanzung der Tiere schädigen, denn Linuron wirkt wie ein Hormon.
Dabei steht der Feldhase in Deutschland schon seit 1994 auf der Liste der gefährdeten Arten. Die Rammler haben laut Bundesamt für Naturschutz weniger fruchtbare Spermien als früher. Die Eierstöcke der Häsinnen seien verändert. „Fehlgeburten, das Absterben von Embryonen und kaum überlebensfähige Frühgeburten sind die Folge.“
Auch für Menschen ist Linuron nicht ohne. Die EU-Behörden haben die Chemikalie unter anderem mit folgenden Warnhinweisen versehen: „Kann vermutlich Krebs erzeugen.“ – „Kann das Kind im Mutterleib schädigen.“ – „Kann vermutlich die Fruchtbarkeit beeinträchtigen.“ Und: „Kann die Organe schädigen“.
Wegen der Gefahren verlangten die Behörden immer neue Unbedenklichkeitsnachweise vom Afalon-Hersteller Feinchemie Schwebda. Das Kölner Unternehmen hat nach eigenen Angaben vor etwa acht Jahren beantragt, die deutsche Zulassung dauerhaft zu verlängern. „Aufgrund der erhöhten Nachforderungen und den damit verbundenen Kosten macht es aus wirtschaftlichen Gründen keinen Sinn, diesen Antrag in Deutschland weiter zu verfolgen“, sagt Registrierungsleiter Wolfgang Busch.
Die Geschäftsführerin des Pestizid Aktions-Netzwerks, Carina Weber, kritisiert, dass das BVL „selbst solche Pestizide über die Notfall-Hintertür genehmigt, die hochgefährliche Wirkstoffe enthalten“. Aus Sicht eines vorsorgenden Umwelt- und Verbraucherschutzes sei das unverantwortlich.
„Bei jeder Notfallzulassung wird eingeschätzt, ob es wirklich keine Alternative gibt und wie groß die Gefahr wirklich ist“, antwortet BVL-Sprecher Tief darauf. Um das Risiko zu senken, hat die Behörde Afalon in den vergangenen Jahren immer nur für einige wenige Pflanzen erlaubt. Doch nicht alle Bauern halten sich an diese Vorschriften. So haben die Lebensmittelbehörden den Wirkstoff zum Beispiel 2007 mehrmals in anderem Obst und Gemüse gefunden.
Dass es auch ohne Linuron geht, beweisen Bio-Bauern tagtäglich. Sie dürfen laut EU-Ökoverordnung keine chemisch-synthetischen Pestizide wie Afalon benutzen. Und schaffen es trotzdem, Salatköpfe zu ernten. Allerdings müssen sie dafür mehr Arbeit investieren: Sie entfernen Unkraut zum Beispiel durch Jäten oder mit der Hacke. Zudem ist ihr Ertrag meist geringer. Dafür überleben mehr Feldhasen.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
„Edgy sein“ im Wahlkampf
Wenn eine Wahl als Tanz am Abgrund verkauft wird
Denkwürdige Sicherheitskonferenz
Europa braucht jetzt Alternativen zu den USA
Überraschung bei U18-Wahl
Die Linke ist stärkste Kraft
RTL Quadrell
Klimakrise? War da was?
Ukraine-Verhandlungen in Saudi-Arabien
Wege und Irrwege aus München
Verlierer der Wahlrechtsreform
Siegerin muss draußen bleiben