Gefährdete Sprachen im Netz: Alter Wortschatz in neuen Medien
Google startet eine Plattform für gefährdete Sprachen. Das Projekt wird von Sprachwissenschaftlern getragen. Kritiker zweifeln am Nutzen.
BERLIN taz | Schonmal ein Wort Koro gehört, etwas auf Navajo über die Lippen gebracht oder einen Film auf Western Huasteca Nahuatl gesehen? Falls nicht, können Sprachinteressierte diese Versäumnisse möglicherweise bald mit dem neuen Endangered Languages-Project nachholen.
Mit der Webseite, die auf Technologien der Google-Stiftung basiert, möchten die Universität Eastern Michigan und die Universität Hawaii in Manoa eine Plattform und ein Sprachrohr für gefährdete Sprachen weltweit bieten. Denn sie fürchten, dass mehr als die Häfte der etwa 7.000 weltweit existierenden Sprachen im Jahr 2100 nicht mehr gesprochen werden.
Einige Experten bezweifeln jedoch, dass die Online-Plattform diese Tendenz abmildern kann – und fragen sich, was Google damit zu schaffen hat. Auf der Webseite werden insgesamt 3054 Sprachen vorgestellt, die weltweit nur wenige tausend Menschen sprechen.
Während mit Sorbisch, Obersorbisch oder West-Jiddisch auch einige Sprachen innerhalb Deutschlands als gefährdet angeführt werden, lokalisiert das Projekt die meisten stark gefährdeten Sprachen an der Westküste Nord- und Südamerikas und in Südasien. Bisher gibt es, auf der Grundlage des so genannten Catalogue of Endangered Languages der beiden Trägeruniversitäten, nur jeweils einige Basisdaten zu den Sprachen: Wo sprechen wie viele Menschen die Sprache und zu welcher Sprachgruppe gehört sie?
„Die Plattform birgt viel Potenzial“
Für einige gibt es auch Beispiele, etwa einen Filmtrailer auf Seri, einem indigenen Dialekt, den dem Projekt zufolge nur 500 Menschen im äußersten Nord-Westen Mexicos sprechen. Beispieldateien, welche die Sprachen auf diese Weise erfahrbar machen, sind jedoch rar.
„Um mit der Plattform dazu beizutragen, die Sprachen zu erhalten, werden einige Videos nicht reichen“, sagt Paul Trilsbeek, Leiter des Sprachenarchives am niederländischen Max Planck Institut für Sprachpsychologie. Das MPI beteiligt sich im Planungskomitee des Projekts, hat also eher mit der Strategie als mit dem konkreten Inhalt zu tun.
Doch wie der sich entwickelt, wird entscheidend für den Nutzen des Endangered Language Project sein. In den kommenden Monaten sollen sowohl Privatpersonen als auch Wissenschaftler aus aller Welt die Seite bestücken: Mit wissenschaftlichen Papern, Sprachdokumentationen in Text, Bild und Ton und Fallstudien, womöglich über den Dialekt im eigenen Dorf.
„Die Plattform birgt viel Potenzial, jetzt sind die Nutzer daran, es zu nutzen“, sagt Trilsbeek. Er rechtfertigt die Kooperation mit Google vor allem damit, dass das Internetunternehmen sehr bekannt ist und somit „endlich mehr Menschen vom Sprachensterben erfahren und das Problem auch beachten.“
Mangelndes Selbstwertgefühl der Native Speaker
In Googles Bekanntheit sieht Trilsbeek auch den eigentlichen Nutzen für diejenigen, deren Muttersprache bedroht ist. Ausgerechnet sie können nämlich nur begrenzt am Endangered Language Project teilnehmen – für viele Menschen in lateinamerikanischen und asiatischen Dörfern sei es ohne regelmäßigen Internetzugang nicht möglich, an der Plattform mitzuarbeiten.
„Aber sie werden mitbekommen, dass ihre Sprache auf einer großen Webseite präsent ist, was das Selbstwertgefühl enorm steigert“, sagt Trilsbeek. Das Gefühl, dass die eigene Sprache nichts wert ist, beschreiben Experten neben Landflucht als einen der Hauptgründe fürs Sprachensterben.
Auch Nikolaus Himmelmann, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für bedrohte Sprachen, beschreibt das mangelnde Selbstwertgefühl indigener Stämme als großes Problem. „Das Internet spielt in dem Kampf, Sprachen zu erhalten, eine wichtige Rolle“, sagt Himmelmann. Im Web präsente Sprachen seien für die jeweiligen Sprecher nicht nur ein wichtiger Zugang zur Welt. „Sie sind auch eine Manifestation der eigenen Identität“, sagt Himmelmann.
Doch wie einige andere Wissenschaftler ist Himmelmann skeptisch gegenüber dem Endangered Language Project. Als die Initiatoren der Universitäten Eastern Michigan und Hawaii im vergangenen Jahr ihre mittlerweile 30 wissenschaftlichen Kooperationspartner zusammensuchten, sprachen sie auch Himmelmann an. Doch der Professor für allgemeine Sprachwissenschaft an der Universität Köln störte sich an einer Bedingung des Sponsors, der Google-Stiftung: Die Wissenschaftler sollten zwar Geld für ihre Daten erhalten, aber dafür nicht über die Vertragsinhalte mitbestimmen oder reden dürfen. „So eine Verschwiegenheitserklärung ist für Wissenschaftler eigentlich nicht akzeptabel, es ist nicht absehbar, was Google mit den Daten noch vorhat“, sagt Himmelmann. Er verzichtete.
Moderne Kommunikation mit alten Sprachen
Auf Anfragen, wie viel Geld es in das Backend der Plattform gesteckt hat und über welche Vertragsdetails die Partner stillschweigen sollen, antwortete Google nicht. Recht aussagekräftigt ist jedoch, dass Dateien möglichst nur mithilfe von Google-Produkten wie Youtube, Picasa oder GoogleDocs hochgeladen werden sollen. Himmelmann schätzt, dass auch unter den Kooperationspartnern einige Institute sind, die eher wirtschaftliche Interessen an dem Projekt haben. Denn es gebe längst Projekte, die Werkzeuge des Internets und auch der sozialen Medien nutzen, um bedrohte Sprachen zu schützen – die gelte es zu unterstützen.
Zum Beispiel Phil Cash Cash. Der Nordamerikaner ist Linguist an der Universität Arizona und, noch viel wichtiger, Mitglied des indigenen Stammes Nuumiipuu. Cash Cash schätzt, dass nur noch 25 Menschen Nez Perce, die Muttersprache seines Stammes, flüssig sprechen. Der Wissenschaftler kämpft dagegen an, dass dies einfach so weiter geht, mit wissenschaftlicher Arbeit und simpleren Methoden: So gestaltet Cas Cash etwa einige Posts auf seinem //plus.google.com/100794758144785222072/posts:Google+-Account zweisprachig, auf Englisch und auf Nez Perce.
Wohl wissend, dass die meisten Indigenen mittlerweile über Smartphones im Netz surfen und stark in sozialen Netzwerken aktiv sind. „Wenn Menschen moderne Kommunikationswege wie Mails oder Soziale Netzwerke nutzen, und sehen, dass ihre alte Sprache dort präsent ist, belebt das den Dialekt ungemein“, sagt Cash Cash.
Auch er bedient sich also an Googles Infrastruktur. Doch im Gegensatz zum Großvorhaben Endangered Language Project läuft das ohne Geheimverträge und interaktiv. „Nur Sprachvideos einzustellen und zu dokumentieren ist eher eine Musealisierung der Sprache“, kommentiert Himmelmann von der Gesellschaft für bedrohte Sprachen die bisherigen Aktivitäten des Endangered Language Project. Die Plattform bietet mit einem Diskussionsforum und Querverweisen auf Facebook und Twitter die Möglichkeiten zur Kommunikation. Diese müssten nun auch bald genutzt werden, meint Himmelmann: „Den Sprachen hilft die Plattform nur, wenn die Leute dort kommunizieren.“
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