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Gedenkstätte "Elbberg" in BoizenburgSchnittstelle zweier Diktaturen

Sommer im Museum (4): Der Erinnerungsort "Elbberg" in Boizenburg ist ambivalent, war dort doch zunächst ein Zwangsarbeiterinnen-Lager der Nazis und später DDR-Grenzkontrollposten. Eine Vermischung beider Geschichten vermeidet die Gedenkstätte zum Glück.

Vermengung und Relativierung vermieden: Gedenkstätte Boizenburg. Bild: Frank Keil

BOIZENBURG taz | "Nach Auschwitz waren die Baracken hier phantastisch", sagt die Stimme. Und sie erzählt, dass es in den Baracken einen Tisch und einen Ofen gegeben habe, zu ihrer Freude: "Weil wo Ofen ist, wird man auch heizen - und so war es", hört man.

Die Stimme kommt vom Band. Sie gehört Edith Feher, die im Sommer 2002 noch einmal nach Boizenburg an die Elbe kam, diesmal nicht als Gefangene, sondern auf Einladung der Stadt. Sie war eine von 400 ungarischen Jüdinnen, die im Juli 1944 von Auschwitz hierher gebracht wurden - 400 von geschätzten 100.000 ungarischen Juden, die die Nazis als Zwangsarbeiterinnen vorzugsweise in der Rüstungsproduktion einsetzten.

300.000 von ihnen brachten sie während dieser Zeit innerhalb weniger Wochen in Auschwitz und anderen Lagern um. Denn die bis dato kollaborierende ungarische Regierung hatte sich angesichts der bevorstehenden Niederlage Nazideutschlands doch noch den Alliierten zugewandt. Zudem war das Land jetzt von den Deutschen besetzt.

Von den Gebäuden im mecklenburg-vorpommerschen Boizenburg ist nur die einstige Küchenbaracke erhalten geblieben. Heute fungiert sie als Außenstelle des Heimatmuseums der Stadt Boizenburg, die jahrzehntelang DDR-Grenzstadt war. Es ist ein langer, gestreckter Bau, und er wirkt, als habe man ihn damals halb in die Erde eingegraben. Nun steht der Besucher in ihr und blickt auf das solide Mauerwerk und auf ein gutes Dutzend Texttafeln, auf denen sehr komprimiert nicht nur die Geschichte dieses Lagers, sondern die des nationalsozialistischen Lagersystems erklärt wird.

Die Serie

Warum nicht, gerade im Sommer, das aufspüren, was die Peripherie oder, gut versteckt, die eigene Stadt so an Kultur zu bieten hat? Das kann bedächtig, muss aber nicht verschlafen sein, sondern im Gegenteil: engagiert, bodenständig, mal öffentlich, mal privat und im besten Sinne facettenreich. Wir stellen einige Museen, Gedenkorte, Initiativen der Region vor, die zu besuchen sich lohnen könnte - wenn auch, vielleicht, nicht für jede und jeden.

Auch ein Modell steht da, das das einstige Lager mit seinen Baracken, den Nebengebäuden und den Wachtürmen zeigt. Dazu hört man eben jene Stimmen Edith Fehers und Lea Eisdörfers, die in einem leichten Singsang vom Hunger, der Willkür und den Misshandlungen erzählen. All dies stand auf der Tagesordnung, wenn sie zurückkamen, von den Zwölf-Stunden-Schichten in der damaligen "Thomsen & Co., Werft, Fahrzeug- und Maschinenfabrik GmbH", wo sie meist Flugzeugtragflächen montieren mussten.

Auch diese Interviewpassagen sind kurz und knapp gehalten. Jeweils ein paar Minuten nur dauern die Berichte. Aber sie reichen aus, um sich dem damaligen Geschehen auf eine ganz eigene Weise zu nähern. Und so ist diese Gedenkstätte am Boizenburger Elbhang, von wo aus man in aller Ruhe auf den sacht dahin fließenden Fluss blicken kann, geradezu ein Paradebeispiel für einen gelungenen Geschichtsort, den man all den Verantwortlichen und Zuständigen von Städten, Gemeinden und Kommunen nur empfehlen kann, wenn sie mal wieder leicht aufstöhnen und sagen: ,Ja, muss denn an jeder Ecke, wo damals Schlimmes passiert ist, nun auch eine Gedenkstätte errichtet werden?'

Erstens: Ja, es muss, und das grundsätzlich, um den Schrecken, den Terror und das Leid jener Tage nicht vergessen zu lassen. Und zweitens wird gerade ein solch komprimierter und didaktisch gut durchdachter Museumsort vom Publikum - wie es im Jargon des Tourismusmarketing heißt - ,gern angenommen'.

Das ist gut zu beobachten, wenn man sich draußen auf einer der bereitstehenden Bänke in die Sonne setzt. Denn die Gedenkstätte liegt am Fahrradwanderweg, der von der Elbmündung bei Cuxhaven bis zurück zur Quelle in Tschechien führt - und umgekehrt. Jede Menge Fahrradfahrer machen in Boizenburg Rast, steigen in ihren zuweilen quietschbunten Zweckbekleidungen die Stufen der einstigen Küchenbaracke hinab und treten in der Regel nach einer halben Stunden mit ernsten, aber keineswegs mürrischen Gesichtern wieder ans Tageslicht.

Es ist also durchaus möglich, sich mitten im Urlaub, wo Entspannung und Kontemplation auf der Tagesordnung stehen, mit etwas ganz anderem zu konfrontieren und von beidem zu profitieren.

Ohnehin bietet sich in Boizenburg ein Stopp an, stand doch an dieser Stelle einst ein Kontrollposten, der die DDR-Grenze überwachen sollte. Und so wird nebenher auch die ostdeutsche Nachkriegsgeschichte des einstigen Zwangsarbeiterinnenlagers erzählt: In einer der beiden Vitrinen lagert etwa der zerbrochene Gedenkstein, den die örtliche SED-Kreisleitung im Jahre 1969 aufstellen ließ - nachdem sie den Auftrag für diesen 25 Jahre zuvor vergeben hatte.

Eine Kopie eines damaligen lokalen Zeitungsartikels verrät hingegen, wie man mit der einzigen ermittelten Täterin verfuhr: Die SS-Lagerführerin Gertrud Krüger wurde 1948 zu drei Jahren Haft und "weiteren vorgesehenen Sühnemaßnahmen" verurteilt. In einer kleinen, ebenfalls sehr informativen Broschüre, die man gegen eine Spende mitnehmen kann, wird Weiteres erzählt: etwa, dass man es zu DDR-Zeiten vermied, darauf zu verweisen, das es sich bei den hierher Verschleppten um Jüdinnen handelte - und das man es nicht wichtig fand, Boizenburger Zeitzeugen über die NS-Zeit zu befragen und ihre Auskünfte festzuhalten. Systematisch geforscht wurde erst, als viele der potentiellen Zeitzeugen nicht mehr am Leben waren - nach der Wende.

Und im Nu ist der Besucher auch dort angekommen, wo sie sich am konkretesten manifestiert: an der einstigen Grenze. Exakt gegenüber der Gedenkstätte betritt man eine Art größere Verkehrsinsel mit Beobachtungsturm. Hier befand sich bis zum Spätherbst 1989 eine Kontrollstelle der DDR-Grenztruppen, stets bereit, dem Klassenfeind ebenso entgegen zu treten wie den eventuellen Bedürfnisse der eigenen Bevölkerung, sich diesen vielleicht einmal aus der Nähe anzuschauen.

Es ist also zunächst die Geschichte einer fortschreitenden Selbstisolation, die in dieser zweiten Außenstelle des Boizenburger Heimatmuseums zu erfahren ist, die sich in den Jahren der Zwangsumsiedelungen ab 1952 bis zum Jahr des Mauerbaus 1961 steigerte und festigte. Bis 1972 Boizenburg - im Vorgriff auf den Grundlagenvertrag zwischen der BRD und der DDR 1973 und dem damit verbundenen ,kleinen Grenzverkehr' - wieder aus dem eigentlichen Grenzgebiet ausgegliedert wurde, während zugleich die Grenzanlagen verstärkt und ausgebaut wurden.

Um dies aus der Nähe zu erfahren, kann man den ehemaligen Beobachtungsturm betreten; auf den dort aufgestellten Stelen erfährt man Weiteres über die Geschichte des Grenzortes Boizenburg: Engagierten sich anfangs freiwillige Helfer, die mit Fernglas und Schlagstock nach Fluchtwilligen Ausschau hielten, übernahmen dies bald bewaffnete Einheiten, bestehend auch aus Wehrpflichtigen. Auch sieht man, wie die Grenze vom Westen - genauer: von Lauenburg aus - wahrgenommen wurde.

Dies alles wird nun schon gewohnt unaufgeregt präsentiert und zugleich äußerst informativ gehalten - ohne dass es zu leichtfertigen Analogien oder Gleichsetzungen käme: Diese Präsentation legt in keiner Weise nahe, dass die NS-Diktatur der der DDR vergleichbar gewesen wäre.

Und der Raum zwischen der Gedenkstätte und dem ehemaligen Beobachtungsturm samt Informationstafeln? Hier läuft die Bundesstraße 5, die das einst westdeutsche Lauenburg und das einst ostdeutsche Boizenburg parallel zum Elbfluss verband und heute eine normale Städteverbindung ist. Eine entsprechend gut ausgebaute Straße, gesäumt von Bäumen, ab dem Boizenburger Ortseingang auch von Plakaten, die auf die bevorstehenden Kommunalwahlen verweisen. "Wir bleiben hier. Wir packen an" ist da zum Beispiel zu lesen, während ein kleines Mädchen mit Haarkranz vor einem wogendem Kornfeld steht.

Ein älteres Ehepaar dagegen wandert recht zufrieden durch den Wald, umrahmt von der Parole ,Kriminelle Ausländer raus!' Es ist ein Plakat der NPD, die aktuell nur deshalb nicht in der Stadtversammlung vertreten ist, weil ihr Vertreter aus Boizenburg wegzog. All dies rezipierend, ist nun der Besucher gefordert, sich der Gegenwart zu widmen - gerüstet mit wichtigen Erkenntnissen aus der Geschichte.

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