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Aus taz FUTURZWEI

Gedanken zu einem Streitfall Die Linken und die Identität

Wagenknecht, Doskozil, Thierse – Wieso haben nicht wenige Linke ein Problem mit der Identitätspolitik? Fragen der Zeit, erörtert von Isolde Charim.

Links Foto: Pixabay

Von ISOLDE CHARIM

Da ist Sahra Wagenknecht. Die ehemalige Fraktionsvorsitzende der deutschen Partei Die Linke hat sich mit ihrem neuen Buch gegen eine „Lifestylelinke“ in Stellung gebracht. Unter Berufung auf „reale gesellschaftliche Probleme“.

Da ist der österreichische Sozialdemokrat Hans Peter Doskozil, SPÖ-Landeshauptmann vom Burgenland, der nicht mehr als stellvertretender Parteivorsitzender kandidieren möchte – nicht ohne sich noch einmal gegen „Nischenthemen“, etwa in der Migrationsfrage, und für soziale Gerechtigkeit in Stellung zu bringen.

Und da ist der SPD-Politiker Wolfgang Thierse, der sich mit Kritik an der Identitätspolitik für die Bedürfnisse der Mehrheit in Stellung brachte.

All diese Fälle haben ihre jeweilige Besonderheit. Und trotzdem gleichen sie sich. Diese Häufung ist kein Zufall. Sie rührt vielmehr daher, dass all diese Fälle um dasselbe Problem kreisen – ein grundlegendes Problem sozialdemokratischer und linker Parteien. Jenseits der einzelnen Personen. Und jenseits der jeweiligen Umstände.

Die Soziallinke und die Identitätslinke

Wenn man einmal absieht von den Wellen der neuen „Wokeness“, also den überschießenden, den lautstarken, den Exzessen der Empfindlichkeits- und Empörungsbereitschaft – was bleibt dann? Dann bleibt ein ernstzunehmender Gegensatz. Jener zwischen einer Soziallinken und einer Identitätslinken. Also zwischen jenen, die die soziale Frage für sich reklamieren. Und jenen, die meinen, Klassenpolitik sei von Identitätsfragen – ob nun ethnisch, religiös, geschlechtlich – nicht zu trennen.

Wenn es nur um die Frage ginge: ökonomische Verteilung oder Machtverhältnisse. Wenn es nur um diesen Gegensatz ginge. Dann wäre das Problem leicht zu lösen. Mit jener Friedensformel eines „sowohl – als auch“, die man heute gerne aus dem Hut zaubert. Dieses „sowohl – als auch“ aber funktioniert nicht so ganz, weil es etwas Entscheidendes übersieht: ein Problem, das hier unausgesprochen verhandelt wird. Und dieses Problem ist die Nation.

Zum einen weil die Soziallinke – spätestens seit der Nachkriegszeit – unbenannt auf der Nation beruhte. Der relativ homogene Nationalstaat war ihre stillschweigende Voraussetzung. Damit war die Frage der Zugehörigkeit – wer gehört dazu und wer nicht – gelöst. Dieses „latent rechte Problem“, wie es der Soziologe Armin Nassehi nennt, stellte sich damit gar nicht. Das hat die Sozialpolitik der Nachkriegszeit deutlich vereinfacht. Natürlich musste diese durchgesetzt, errungen, erkämpft werden. Aber die Frage „Wem kommt die Umverteilung zugute?“ stellte sich nicht. Natürlich ging es auch bei solcher Klassenpolitik um Identität. Arbeiterschaft ist eine eminente Identitätsbestimmung. Aber diese blieb einfach – also nur durch die soziale Lage – bestimmt.

Ein Ansturm gegen die alte Normalität

Zum anderen aber bedeutet das: Die neue Identitätspolitik geht von mehrfachen Bestimmungen aus – von Ausbeutung und Identitäten. Diese neue Identitätspolitik ist – im Unterschied zur alten – ein Ansturm gegen das, wofür die Nation steht. Oder stand. Ein Ansturm gegen den nationalen Typus, der etwa ein eindeutiges Bild des Deutschen oder Österreichers zeichnete. Ein Ansturm gegen die Norm. Kurzum – ein Ansturm gegen die alte Normalität.

Anders gesagt: Die beruhigende Friedensformel des „sowohl – als auch“ ist keine solche. Keine Friedensformel. Denn sie übersieht: Es geht gar nicht um Soziales gegen Identität. Dies ließe sich tatsächlich – sowohl als auch – verbinden. Es geht vielmehr um den Widerspruch zwischen nationaler Normalität und dem Einspruch gegen eben diese. Das strukturelle Problem, das Problem, das sozialdemokratische und linke Parteien nicht nur hier oder in Deutschland spaltet. Dieses Problem lässt sich nicht so leicht beheben.

Die entscheidende Frage aber ist: Lässt es sich überhaupt beheben? Wenn nicht, wäre das eine schlechte Nachricht. Denn dann wäre dies nicht nur ein grundlegender – sondern ein unauflöslicher Widerspruch.

ISOLDE CHARIM ist Philosophin und lebt in Wien.

Dieser Beitrag ist in taz FUTURZWEI N°17 erschienen.