: Gedämpfte Hoffnung
Indiens Regierung dämpft die von ihr selbst geweckten Erwartungen einer Lösung des Konflikts mit Pakistan
DELHI taz ■ Indiens Premier Atal Behari Vajpayee hat mit seinem Gesprächsangebot an Pakistan vom 18. April hohe Erwartungen geweckt. Nur Tage später einigten sich beide Regierungen auf die Wiederherstellung der diplomatischen Beziehungen und der Verkehrsverbindungen. Aus aller Welt kam Lob für Vajpayee sowie die Ermunterung an beide Nuklearstaaten, sich wieder an einen Tisch zu setzen. Es folgte eine Einladung des pakistanischen Regierungschefs Jamali an Vajpayee nach Pakistan.
Der plötzliche Umschwung nach 18 Monaten „Zähnezeigen“ schuf eine Stimmung, die der Euphorie glich, die im Vorfeld der Gipfeltreffen 1999 und 2001 zu spüren war. Sie zeigte, wie emotional das Verhältnis der beiden „Zwillinge“ ist, die bei ihrer Geburt – den Staatsgründungen 1947 – getrennt wurden.
Seit einer Woche versucht Delhi, die Eigendynamik des Annäherungsprozesses wieder unter Kontrolle zu bringen. Gerade Vajpayee ist bemüht, seinem „dritten und letzten Versuch“ zu einem Frieden nicht das Schicksal der beiden vorherigen Gipfel widerfahren zu lassen. Diese scheiterten auch deshalb, weil Gipfelgespräche eine 50-jährige Feindschaft nicht einfach vom Tisch wischen konnten. Der Premier betonte, er habe Jamalis Einladung weder angenommen noch zurückgewiesen.
Laut Außenminister Yashwant Sinha habe Indiens Regierung einen Fahrplan ausgearbeitet, nach dem der Dialog auf Verwaltungsebene beginnen und erst dann auf Ministerebene gehoben werde. Ein Gipfeltreffen gebe es erst, wenn sich die Rahmenbedingungen verbessern. Dazu zählt Delhi die Einstellung des „grenzüberschreitenden Terrorismus“.
Delhi verweigerte bisher jeden Dialog, solange Islamabad die Lager kaschmirischer Kämpfer auf seinem Boden nicht schließt und die Infiltration nicht beendet. Da Pakistan diese immer bestritt, gab es ein Patt. Das brach Vajpayee jetzt, indem er das Ende des Terrors nicht zur Vorbedingung für Gespräche machte, wohl aber für einen erfolgreichen Dialog.
Erstmals anerkannte Indien, dass die Zahl der Übertritte von Kämpfern aus dem pakistanischen Teil Kaschmirs zurückgegangen ist, von 489 im ersten Jahresdrittel 2001 auf 368 im letzten Jahr und 290 in 2003. Es gebe auch Hinweise, dass in den letzten Tagen zwei Lager der „Hisbul Mudschaheddin“ geschlossen wurden. Allerdings gibt es immer noch Gruppen, die im Internet Selbstmordattentäter für die Sache Kaschmirs rekrutieren dürfen.
In Pakistan wurde Vajpayees Gesprächsangebot mit Erleichterung aufgenommen, was zeigt, wie groß der Druck auf das Land geworden ist. Dieser hat auch erstmals eine offene Debatte ausgelöst, ob die Fixierung auf Kaschmir im eigenen nationalen Interesse nicht endlich aufgegeben werden müsse. Der Kolumnist Ayaz Amir rechnete vor, wie sehr Pakistan wirtschaftlich ausblutet, um einer Chimäre – der Aufgabe Kaschmirs durch Delhi – nachzurennen. Pakistan tue gut daran, die Waffenstillstandslinie endlich als internationale Grenze zu akzeptieren und sich mit seinem Drittel des umstrittenen früheren Maharadscha-Staats zufrieden zu geben.
Andere Kommentatoren meinen zu erkennen, dass auch die Armee langsam umzudenken beginne. Die Tageszeitung The Nation berichtete über einen Regierungsbeschluss, bei den Verhandlungen mit Indien das Thema Kaschmir die nächsten zwei Jahre einzufrieren und stattdessen Delhis Forderung zu folgen, Wirtschaft und Personenaustausch Priorität zu geben.
BERNARD IMHASLY