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Geburtstagsgeschenke von Gleichaltrigen

Auf Sammlergunst gebaut: Das Neue Museum Weserburg in Bremen ist ein neuer Kunsthallen-Typus, lebt es doch fast ausschließlich von privaten Dauerleihgaben. Mit diesem Konzept ist es in nur zehn Jahren zu einem der größten Häuser für Zeitgenössische Kunst in Deutschland aufgestiegen

Kunst selbst im Klo: Der Handtuchspender gibt würgende Geräusche von sich

von HENNING BLEYL

Am Anfang gab’s noch Angebote zum Tausch von Ritterrüstungen. So ist das, wenn man „Burg“ im Namen führt. Dabei besteht das Bremer „Neue Museum Weserburg“ ganz unfeudal aus den vier Speicherhäusern einer Pleite gegangenen Kaffeerösterei und gilt als erstes Sammlermuseum Europas. Nur eben nicht für Alteisen.

Mitten in der Weser liegt es, schon von weitem sieht man dicke weiße Lettern, gemalt von Lawrence Weiners Konzeptpinsel: „Having been built on sand / on another base (basis) in fact.“ In der Tat: Der Grund, auf dem das Museum in Wahrheit baut, heißt Sammlergunst. Etwa 40 Leihgeber, darunter elf mit größeren Sammlungen, sorgen für Exponate, die meist mit Zehnjahresverträgen an das Haus gebunden sind. Der Sandspruch zum Beispiel gehört Reinhard Onnasch, seines Zeichens Immobilienhändler. Auch Branchenkollege Hans Grothe ist dabei, oder der kürzlich verstorbene Hamburger Apotheker Klaus Lafrenz.

Was sie auf der Weserhalbinsel zusammengetragen haben, kann sich sehen lassen: Unter anderem Richter, Penck, Lüpertz, Armando, Baselitz, Graubner, Kelly, Matta, Richard Sera und Richard Long. Westkunst der Nachkriegszeit mit Betonung der Sechziger- bis Achtzigerjahre. Zunächst mal stand hier Ed Kienholz’ Environment „Roxy’s“. Das Militärbordell aus der Sammlung Onnasch wurde in der Bremer Gesellschaft für Aktuelle Kunst (GAK) – die auch heute noch in der Weserburg sitzt – aufgebaut und zog reichlich Publikum an. Zuvor hatte es neun Jahre bei einer Spezialspedition gelagert: Da drängte sich die Frage natürlich auf, ob gezeigt werden wollende private Kunst und leerstehender öffentlicher Raum nicht zusammenfinden könnten. Ab 1991 konnten sie, zu beiderseitigem Nutzen: Die Werke werden von öffentlicher Hand versichert, bei Bedarf restauriert und erfahren durch die musealen Weihen eine Wertsteigerung, die jemand wie Hans Grothe auch gerne nutzt.

Die andere Rechnung: Für fünf Millionen Euro Umbaukosten und jährliche Betriebsmittel von circa 1,2 Millionen bekam Bremen ein Museum, das in Deutschland – neben dem Kölner Museum Ludwig und dem Karlsruher ZKM – als eines der größten für internationale zeitgenössische Kunst gilt. Die eigene Sammlung des Hauses hingegen ist zwar fein (zum Beipsiel Rebecca Horn), aber klein (210 Exponate) und wächst nur langsam – der von vornherein bescheidene Ankaufetat von 100.000 Mark wurde bereits nach zwei Jahren gestrichen.

Ausleihen ist billiger, bedeutet aber, museale Macht einzuräumen. Die Sammler verfügen über die Hälfte der Stimmen im Stiftungsrat der Weserburg und entscheiden mit, welche neuen Kollektionen aufgenommen werden. Thomas Deecke, Direktor des Hauses, betont allerdings: „Die Abstimmungen mit den Sammlern sind viel unkomplizierter, als viele vermutet hatten.“ Zur „allgemeinen Überraschung“ habe es noch keine größeren Konflikte gegeben.

Per Erbfolge gelang dem Museum vor kurzem der Sprung zur nächsten Generation. Mit Björn Lafrenz (Sohn) und seinem Freund Rik Reinking (fußstapfenlos) haben sich zwei Hamburger Twens ans Haus gebunden, die KünstlerInnen ihres Alters mitbringen; bisher waren die Zeitgenossen der Jahrgänge 1920 bis 1940 in der Weserburg unter sich. Jetzt ist die alte Sammlung Lafrenz mit viel Minimal und Concept Art, sowie Arte Povera neu aufgebaut worden, durchsetzt mit den Erwerbungen des Nachwuchses. Etwa mit den „Leiden des jungen W.“ des 28-jährigen Braunschweigers Tibor Claasen: Ein Stetoskop lauscht in ein Aquarium hinein, das Publikum am anderen Ende des Hörgeräts hat Goethe-Zitate der Bedrängnis und des Untergehens im Ohr.

Wie Künstler ihren Sammlern ein Schnippchen zu schlagen versuchen, zeigen Matthias Bertholds Holzkästen. Per Siebdruck erteilen sie „Anweisungen“: Der Käufer muss sich verpflichten, ein Fenster seiner Wohnung mit Wachs zu überziehen, sich von einer Lieblingsvorstellung zu verabschieden und eine genaue Liste des Besitzes anzufertigen: „Ordnen Sie die Gegenstände alphabetisch. Jeden dritten zünden Sie an.“ Davon allerdings hat sich Rik Reinking vertraglich entbinden lassen.

Die Spitze der Sammelleidenschaft erreicht die Weserburg in ihrem „Archive for Small Press & Communication“, das sie zusammen mit der Uni Bremen zu einem Studienzentrum ausgebaut hat. Es beinhaltet 100.000 Publikationen, Künstlerbücher und -zeitschriften, Plakate oder Postkarten, darunter hoch Gehandeltes von John Cage, Dieter Roth, Christian Boltanski und Ben Vautier. Insgesamt verfügt die Weserburg über 6.000 kunstgefüllte Quadratmeter, verteilt über vier Etagen und Spitzböden.

Etwa 40 Leihgeber, elf davon mit größeren Sammlungen, sorgen für die Exponate

Selbst auf dem Klo geht’s um ästhetisch Gemeintes: Wer zum Handtuchspender greift, hört würgende Geräusche, sieht sich also einer performativen Skulptur gegenüber. Die Berlinerin Susanne Weirich hat die Hygienevorrichtungen mit kleinen Boxen präpariert, aus denen die Sounds von körperflüssigkeitszentrierten Filmschnipseln tönen, zum Beispiel aus dem Film Pulp Fiction.

Kunst allerorten, Menschen etwas weniger: In der weitläufigen Weserburg muss man sich nicht drängeln. Der jährliche Besucherdurchschnitt soll bei knapp 50.000 liegen. Doch so allmählich entwickelt sich das lokale Bewusstsein, jede Menge Gegenwartskunst in der Stadt zu haben. Dafür sorgen auch museumspädagogische Aktionen: Zum zehnjährigen Geburtstag im vergangenen Jahr wünschte sich die Weserburg etwa Geschenke von Gleichaltrigen – die so entstandene „Gegenwartskunst“ wurde selbstverständlich ausgestellt.

Darüber hinaus lässt der Bremer Finanzsenator seine Auszubildenden seit anderthalb Jahren an der Gegenwartskunst schulen, „um Flexibilität und differenzierte Wahrnehmungsfähigkeit zu fördern“. Schließlich müssten die zukünftigen MitarbeiterInnen im Behördenalltag mit allerlei irritierenden Anträgen und Sachverhalten zurechtkommen. Da kommen Gerhard Richter, Duane Hanson oder Bettina Rheims als Sparringspartner gerade recht. CDU-Senator Hartmut Perschau, eigentlich ziemlich konservativ, sieht als Lernziel: „Der erste Zugang zum Kunstwerk oder Verwaltungsfall muss nicht der einzige bleiben.“ So entstand das Wahlpflichtfach „Kreativität“. Natürlich gab es Spott für eine so entstehende „Waldorf-Verwaltung“, die Bildinterpretationen zur Deutung juristischer Sachverhalte nutzen wolle. Aber auch jede Menge Lob: Auf dem 6. Europäischen Verwaltungsreformkongress wurde das Bremer Modell ausgiebig beäugt. Freiburg hat es bereits übernommen, in Köln wird diskutiert.

Schließlich ist jeder ein Antragsteller, wie Beuys gesagt haben könnte. Der Altmeister ist in der Weserburg unter anderem mit seiner gebratenen Fischgräte präsent. Gemeinsam mit Daniel Spoerris horizontal gekippten Mahlzeitresten gehört sie zum kulinarischen Teil der derzeitigen Fluxus-Ausstellung (noch bis zum 14. Juli). Wolf Vostells verwestes Fleisch vor Kriegsbildern aus Vietnam erweitert denselben in die Richtungen „Ekliges“ und „Politisches Statement“. Der Nachhall des Wiesbadener „Festum Fluxorum“ von 1962 manifestiert sich nicht nur im Themenblock „Essen und Trinken“, auch „Fernsehen und Medien“ oder „Spiel und Poesie“ sind vertreten. Richard Hamiltons Gebiss auf Elektrozahnbürstengriff („The critic laughs“ von 1971/72) steht nicht weit von André Thomkins Straßenschild-Palindrom „Oh cet écho“, das der Ausstellung ihren Untertitel gab. Das Bremer Ehepaar Schnepel hat hunderte von Exponaten zur Verfügung gestellt, darunter sehr viel Kleinformatiges, das sich auf einer Halbetage drängt. Ironisch-lakonischer Überfluss, der nie ins Museum wollte. Aber in den geliehenen Netzen der Weserburg hat sich in dessen kurzer Geschichte schon viel verfangen.

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