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Geburtsanzeige: Bühne und Autor wohlauf

■ Im Bremerhavener TiF feiert man mit „Frühlings Erwachen“ eine Theatereröffnung

Noch ist der Bahnhof eine halbe Baustelle, aber der Theaterraum ist knapp vor der Eröffnungspremiere fertig geworden. „Theater im Fischereihafen“ - kurz TiF - nennt sich das jüngste Kind der Bremerhavener Kultur-Szene. Der Fischbahnhof war 100 Jahre lang eine Eisenbahnhalle, Umschlagplatz für den Fischtransport. Abgerissen und direkt am Wasser in malerischer Lage wiederaufgerichtet, soll die Mehrzweckhalle aus Stahl und Ziegelstein die Touristenmeile im Fischereihafen kulturell beleben. Das Kind war lange vor der Geburt wegen der befürchteten Konkurrenz zum Stadttheater so heftig umstritten, daß es fast abgetrieben worden wäre. Jetzt hat es den ersten Schrei getan, und alle Vips aus Bremerhaven waren dabei.

Mit „Frühlings Erwachen“ hat sich der Lehrer und Theaterleiter Peter Koettlitz nach mehrjähriger Pause als Regisseur zurückgemeldet. Am Stadttheater hatte er seit 1986 mit jugendlichen Laien eine Kinder- und Jugendtheaterarbeit aufgezogen, die von Nigel Williams „Klassenfeind“ bis zu Paul Maars „Sams“ bestechend schöne Inszenierungen bot. Als der leidenschaftliche Theaterfreak von der Fischereihafen - Betriebs- und Entwicklungsgesellschaft (FBEG) vor drei Jahren auf die künftigen theatralischen Möglichkeiten am Wasser angesprochen wurde, war er Feuer und Flamme und begann, sein Theater gegen alle Neider und Widrigkeiten durchzuboxen. So hoch, wie die Erwartungen an Koettlitz' erste Eigenproduktion ausfallen würden, konnten sie gar nicht in Erfüllung gehen.

„Frühlings Erwachen“, das war am Bremer Theater in der unvergessenen Inszenierung von Hans Falar ein stürmischer Wirbelwind, der die jugendlichen Laiendarsteller buchstäblich aus den Hüllen befreite. Da kämpften ganz gegenwärtige Kinder um ihr Recht auf Glück (und später gründeten einige von ihnen ihr eigenes „Junges Theater“).

Heute in Bremerhaven betont Koettlitz die Distanz: Er zeigt die wilhelminisch zugeknöpfte Welt Wedekinds in so unterkühlten Bildern, daß niemandem warm im Herzen werden kann. Großes Glück hat er mit einigen seiner jugendlichen Darsteller, allen voran Sven Hönig, der den vom ungelebten Trieb gepreßten Moritz souverän zwischen Komik und Trauerspiel ansiedelt.

Aber die große, neue Bühne und der Abstand zum Publikum (200 Plätze) machte allen Akteuren akustisch und spielerisch noch zu schaffen. So steril wie der offener Raum wirken auch manche Szenen. Der Abend bleibt eine lose Folge von Momentaufnahmen ohne zusammenhängenden Spannungsbogen, Standbilder aus einer längst vergangenen Welt: Die Mädchen in Matrosentracht, die Jungen in Knickerbockerhosen und mit zeitgemäß geschorenem Kopf, Vater Gabor mit gezwirbeltem Oberlippenbart. Koettlitz zeigt Figuren von kalter Künstlichkeit, die weder Empörung noch Mitleid hervorrufen, eher ein hilfloses Achselzucken. Daß sich an den „Nöten junger Menschen“ mit Sexualität und autoritären Erwachsenen seit der Jahrhundertwende kaum etwas geändert habe - wie im Programmheft kühn behauptet - , wird von diesen Bildern nicht bestätigt. Bremerhavens jüngstes Theaterkind wird erst beweisen müssen, daß es in der Gegenwart angekommen ist.

Hans Happel

Im TiF: 15., 19. um 20 Uhr

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