piwik no script img

Geburt mit KomplikationenVerhandeln mit Gott

Das Neugeborene irgendwo zwischen Leben und Tod. Was soll Sicherheit geben, was Hoffnung? Verzweifelt wird nach Irgendwas gegriffen.

Für das Beste beten – und manchmal ums Leben Foto: photocase/Paulo Sousa

D ie Kollegin Katja Demirci vom Tagesspiegel hat vor Kurzem einen Text veröffentlicht über die Geburt und das Sterben ihres ersten Kindes. Dazwischen lag eine Woche. Eine Woche, die mir erschreckend bekannt vorkommt. Das Auf-die-Welt-kommen ohne einen Schrei. Das Wegtragen des leblosen Mini-Körpers, der in den Händen des Arztes hängt wie ein nasser blauer Lappen. Das plötzliche Alleinsein nach der Geburt. Wie unsere Tochter irgendwann an uns vorbeigeschoben wird und wir sie alleine davonfahren lassen müssen. Das Gefühl, sie in diesem Moment, wenige Minuten nach ihrer Geburt, im Stich zu lassen. Die vielen Stunden des Nichtwissens. Tod? Lebendig? Irgendwas dazwischen?

Die vielen Tage und Nächte auf der Kinderintensivstation. Die Kühlmatte, die die Körpertemperatur unserer Tochter auf gut 33 Grad senkt, um Hirnschäden zu minimieren. Die vielen Schläuche, das Piepen, das Morphium, das automatisch in ihren Körper gespritzt wird, das vorsichtige Auf-die-Brust-legen, das Erwärmen unserer Tochter.

An all das muss ich denken, als ich Demircis Text vor mir habe. Ich bin bei der Arbeit. Ich kann den Artikel nicht am Schreibtisch zu Ende lesen. Was ich fühle, das zeige ich schon privat kaum – und auf der Arbeit, in der Öffentlichkeit schon gar nicht. Ich gehe raus.

Und ich denke an die Verhandlungen mit Gott, die ich allabendlich geführt habe. Verhandlungen mit einer höheren Macht, an die ich in dieser Form – als in den Lauf der Welt eingreifende Instanz – doch eigentlich gar nicht glaube. Doch mit wem kann man denn sonst um Leben und Tod feilschen? Mit dem Teufel? An den glaube ich ja noch weniger. Es ist der verzweifelte Griff nach irgendwas.

Und so verhandele ich: Meine Forderungen variieren, von „Lass meine Tochter ein möglichst selbstbestimmtes Leben führen“ über „Lass sie laufen können“ bis „Lass sie essen können“, je nachdem, wie es ihr gerade geht. Wenn ich beispielsweise mitansehen musste, wie meine wenige Tage alte Tochter flehentlich nach Luft ringt, schnappt und schnappt, immer blauer anläuft – und die Ärzt*innen ihren Versuch, die künstliche Beatmung zu beenden, schnell wieder abbrechen, dann sinken meine abendlichen Forderungen an Gott.

Zu bieten habe ich die ganze Zeit das Gleiche, was nicht viel ist: fester Glaube, regelmäßiges Beten, Gottgefälligkeit. Obwohl ich genauso wenig wie irgendein anderer Mensch weiß, was Gott gefällt.

Trotzdem hat Gott seinen Teil unserer Abmachung gehalten. Vor einer Woche war die Schuluntersuchung unserer Tochter. Keine Auffälligkeiten. Viel Spaß in der Schule.

Und ich? Ich hab nicht mal weitergebetet. Das einzige, was geblieben ist, ist der naive Glaube daran, dass so etwas wie Wunder manchmal tatsächlich passieren.

Ich wünsche Ihnen allen und besonders der Familie von Katja Demirci (unbekannterweise) frohe Weihnachten!

Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen

Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Jürn Kruse
Ist heute: Redaktionsleiter bei Übermedien und freier Autor. War mal: Leiter des Ressorts tazzwei bei der taz. Davor: Journalistik und Politikwissenschaft in Leipzig studiert. Dazwischen: Gelernt an der Axel Springer Akademie in Berlin.
Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Danke. Bewegend.

    unterm—- Reminiszenz —



    Der eiskalte Engel durch den Raum & … auch Urgestein Mutter Gripsch Plonka -



    Keine Herztöne & dann - Im St. Vincent - klar - die Herzkammer steht.



    & may be -



    Der uns unbekannte Gott - schützt & …scheint’s nicht nur die Liebenden.



    Ja. Barmherzig - wie “Gestoned“ - beide & das a Geburt & für lange Zeit danach.



    &



    Die Sannyasin-Hebamme - ist wunderbar.



    &



    Ziehe den Sohnemann an. Alles dran. “Wie aus dem Gesicht gespuckt“ -



    Einschließlich dem schrägen kleinen Zehnagel - …nur der Kiefer klappert ein wenig.



    &



    Nein. Er atmet nicht. - “Machen Sie Fotos. Das ist - was Ihnen bleibt.“



    &



    Der Oberarzt - Obduktion? - “Würden Sie denn …?“ - “Nein!“



    &



    Mit dem leeren Korb nachhause. “Ja wie? Wo?“ - klopft auf den “Bauch“.



    Der ungelenke Nachbar - fassungslos - mit Tränen in den Augen.



    & (……)



    Die zwei Großen - hängen - still am Urnen-Grab ein Windspiel in den Walnußbaum.



    &



    Der Jüngste sagt später mal treffend - “…mein größerer Bruder wollte einfach nicht.“

    kurz - Ja klar - viere. Wo süss?



    & - vllt - mit Verlaub -



    Habe Geburten nie anders gesehen.