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Archiv-Artikel

Gebrochene Hände

In Lukas Bärfuss‘ „Der Bus“, das jetzt am Thalia Premiere hat, begegnet Fritzi Haberlandt Gott

von Carolin Ströbele

Am Garderobenspiegel von Fritzi Haberlandt lehnt ein kleines goldgerahmtes Bild. Auf den ersten Blick sieht es aus wie ein altmodisches Heiligenbildchen, beim genaueren Hinsehen erkennt man aber ein Liebespaar, das sich hingebungsvoll einem Kuss nähert. „Mein Glücksbringer“, sagt die Schauspielerin. Sie habe ihn vor vielen Jahren in den Probenräumen der Berliner Schaubühne geklaut, gesteht sie. „Ick hab mir vorjestellt, dat er mal Edith Clever jehört hat.“

Wenn Haberlandt solche Geschichten erzählt, fällt sie gerne in ihren Berliner Dialekt zurück. Obwohl sie in Hamburg gelebt hat, seit sie 16 ist, sagt sie: „Berlin ist meine Heimat.“ Seit fast einem Jahr wohnt sie wieder dort, ist zu ihrem Freund gezogen und freut sich über die neue ICE-Schnellverbindung zwischen den beiden Städten. Nach dem erfolgreichen letzten Jahr mit der Hauptrolle in Thalheimers Lulu und dem hoch gelobten Film Erbsen auf halb 6 hat der Shooting-Star des Thalia sein Pensum erst mal zurückgefahren. „Das letzte Jahr habe ich in zwiespältiger Erinnerung“, erzählt die Schauspielerin. „Es waren tolle Arbeiten, aber ich weiß auch, was sie mich gekostet haben. Ich war wirklich am Ende.“ Auch jetzt noch, sagt sie, fühle sie sich nach jeder Lulu-Aufführung „wie nach einem Boxkampf“ und brauche erst mal zwei Tage, um sich davon zu erholen.

Bis zur Sommerpause wird die 29-Jährige im Thalia nur in zwei Neuinszenierungen zu sehen sein: In Hedda Gabler und in Lukas Bärfuss‘ Stück mit dem seltsamen Namen Der Bus (Das Zeug einer Heiligen), das am Sonnabend Premiere hat. Haberlandt spielt darin die junge Erika, die eine religiöse Erscheinung hatte und nun unbedingt an einem bestimmten Tag zur schwarzen Madonna von Tschenstochau wallfahrten muss. Sie steigt jedoch in den falschen Bus und versucht danach verzweifelt, die Reisegesellschaft davon zu überzeugen, sie nach Polen zu fahren. Die Situation eskaliert, am Ende will die Gruppe Erika sogar umbringen. „Die nehmen sie als Auslöser für ihre ganzen Probleme und ihren Hass“, erklärt Haberlandt. „Ihr ganzes Weltbild gerät ins Wanken durch diese Frau, die einfach sagt: ‚Ich muss zu Gott.‘“

Die Busreisenden – Sinnbild für eine Gesellschaft ohne Werte? „Wenn wir heute über Glauben sprechen oder Religion oder Kirche, ist das gleich so dogmatisch“, findet Haberlandt. „Glaube wird oft verwechselt mit Fanatismus oder dem Glauben eines George W. Bush. Das ist eine Vergewaltigung des Glaubens. Es ist fatal, dass der Begriff so negativ besetzt ist. Er fehlt uns ja – der Glaube an etwas, eine Sehnsucht, ein Herz, eine Stärke.“

Hat sie denn als Schauspielerin das „Zeug einer Heiligen“, wo sie doch „überhaupt nicht gläubig aufgewachsen“ ist? „Gleich in der ersten Szene muss ich beten, das finde ich total schwierig“, gibt Haberlandt zu. „Das kann ich nicht spielen, da muss ich wirklich beten.“ Dieses „Ganz-bei-sich-Sein“ sei problematisch, weil sie „nichts Privates auf der Bühne machen“ will. „Zustände, die ich selber kenne, inspirieren mich nicht. Man muss in dem Moment etwas finden, das einen entzündet.“ Etwas, das man selbst herstellen muss. „Wenn ich gerade wirklich geheult habe und dann auf die Bühne muss, kann ich das nicht benutzen, da gibt‘s eine Schranke. Und das finde ich auch gut so.“

Dass sie diese Gefühle außerordentlich echt „herstellen“ kann, hat Haberlandt oft genug bewiesen. Und auch der Der Bus soll eine emotionale Tour de Force werden: „Es wird weh tun“, hat Regisseur Stephan Kimmig prophezeit. Haberlandt kann das bestätigen: Ihr werden die betenden Hände auf der Bühne gebrochen. Auch für die Zuschauer werde das Stück eine Herausforderung sein: „Es ist ein Felsbrocken, sehr grob. Das ist aber auch die große Qualität des Stücks.“

Bärfuss‘ Geschichte über eine gescheiterte Wallfahrt wirft viele Fragen auf über ein Thema, das uns alle angeht – die fehlende Spiritualität in der modernen Gesellschaft. Wenn sie zu ihrer eigenen Haltung gefragt wird, zögert sie erst einmal. „Ich glaube schon, dass es eine Macht gibt, die wir nicht mit unserem Bewusstsein begreifen können“, sagt sie dann. „Ich selbst bin ein sehr bewusster Mensch, ich will immer alles begreifen und steuern können. Deshalb habe ich zum Beispiel auch totale Flugangst. Aber ich muss auch zulassen können, dass es Sachen gibt, die ich nicht erklären kann und die stärker sind als ich.“

Premiere: Sa, 29.1., 20 Uhr, Thalia