Geberkonferenz in Paris: Heftige Kritik an Libanons Eliten
Bei einer Hilfskonferenz für das Land findet Frankreichs Präsident scharfe Worte gegen die Führungsriege. Dennoch kündigt er Hilfsgelder an.
Als Ziel der Konferenz waren Zusagen in der Höhe von 300 Millionen Euro für humanitäre Dringlichkeitshilfe genannt worden. Staats- und Regierungschefs von insgesamt vierzig Staaten hatten ihre Teilnahme angekündigt, unter ihnen US-Präsident Joe Biden, EU-Ratspräsident Charles Michel sowie Deutschlands Außenminister Heiko Maas. Deutschland sagte 40 Millionen Euro zu.
Die Krise im Libanon begann vor Jahren, angeheizt durch staatliche Verschwendung und Korruption. Sie beschleunigte sich, nachdem vor genau einem Jahr Ammoniumnitrat im Hafen der Hauptstadt Beirut explodierte. Dabei wurden mehr als 200 Menschen getötet, Tausende verletzt und Teile der Stadt zerstört. Im Juni übte die Weltbank scharf Kritik an der politischen Elite des Landes. Diese scheine „absichtlich unzureichend zu reagieren“ und so die Finanzkrise zu verschlimmern.
Trotz des internationalen Drucks war es dem vom libanesischen Präsidenten Michel Aoun nach mehrfachen Scheitern beauftragten Premierminister Najib Mikati nicht gelungen, vor der Konferenz eine Regierung zu bilden. Die Querelen der politisch-konfessionellen Clans waren dafür weiterhin zu groß.
Libanesische Regierung stark in der Kritik
Macron hat seit der Explosion bereits zum dritten Mal eine internationale Libanon-Konferenz organisiert. Er hofft, dass dieses persönliche Engagement und der anhaltende Druck schließlich doch noch etwas bewirken werde.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron
Angesichts der politisch blockierten Situation und der Widerstände musste Macron seine Ambitionen zuletzt aufgrund der Widerstände vor Ort bereits stark reduzieren. Er übte zum Anfang der Videokonferenz schärfere Kritik: „Die libanesischen Führungsfiguren scheinen auf eine Verzögerungsstrategie zu setzen, was ich bedauere und für einen historischen und moralischen Fehler halte.“ Weiter sagte er, die heutige Krise im Libanon sei „weder ein unvermeidliches Los noch eine Fatalität, sondern die Frucht von nicht zu rechtfertigenden individuellen und kollektiven Fehlleistungen“.
In seiner Analyse der aktuellen Krise findet Macron keinen Grund zu Nachsicht für die politische Führung, die nicht gewillt ist, andere Kräfte ans Ruder zu lassen oder mit tiefgreifenden Strukturreformen am traditionellen konfessionellen System der Institutionen zu rütteln. „Es wird keinen Blankoscheck für das politische System geben“, warnte Macron. Hilfsgelder sollten direkt der Bevölkerung zugute kommen und ihr Einsatz überprüft werden.
Auch hinsichtlich der offiziellen Aufklärung der Explosionskatastrophe mahnte Macron die geradezu sträflich untätigen Politiker in Beirut. Den Führern der verschiedenen Konfessionen und Regierungsparteien droht Frankreich mit Sanktionen – was die Betroffenen bisher allerdings nicht groß beeindruckt hatte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Ende der scheinheiligen Zeit
Hilfe, es weihnachtete zu sehr
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten