Gaza-Streifen: Kritik an Israels Drohung
Nach Israels Ankündigung, im Gazastreifen Strom und Wasser zu drosseln, gerät die Regierung unter Druck - US-Staatssekretärin Rice besucht Olmert und Abbas.
JERUSALEM taz Unbeeindruckt von der Drohung der israelischen Regierung, dem Gazastreifen Strom- und Wasserzufuhr zu kappen, schießt der Islamische Dschihad weiter Raketen auf Israel. Bis zum gestrigen Donnerstagmittag schlugen fünf Kassamraketen in der südlichen Kleinstadt Sderot ein.
Erst am Vortag hatte das Sicherheitskabinett in Jerusalem den Gazastreifen zum "feindlichen Gebiet" erklärt und angekündigt, den ohnehin eingeschränkten Personen- und Warenverkehr noch weiter zu reduzieren und die Strom-, Wasser- und Öllieferungen schrittweise zu verringern.
Palästinenserpräsident Mahmud Abbas, der gestern Mittag in Ramallah mit US-Außenministerin Condoleezza Rice zusammenkam, verurteilte die "gefährliche" Entscheidung der Israelis. Rice war zu einem Blitzbesuch in Jerusalem und Ramallah, um sich auf beiden Seiten dafür einzusetzen, dass bei der für Mitte November geplanten Nahost-Gipfelkonferenz in Washington konkrete Vereinbarungen getroffen werden. Sowohl die Europäische Union als auch die UNO forderten Israel inzwischen auf, die Maßnahme rückgängig zu machen.
"Die Trennung von Moderaten und Extremisten wird auch in territoriale Begriffe übersetzt", erklärte jedoch die israelische Außenministerin Zippi Livni, die mit Rice am Mittwoch zusammentraf. Israel hatte schon im Frühjahr letzten Jahres eine ähnliche Entscheidung getroffen, als es die Hamasregierung als "Terrorbehörde" definierte. Damals wurden die Rückzahlungen der palästinensischen Zoll- und Steuergelder eingefroren, mit denen die Autonomiebehörde die Gehälter ihrer Mitarbeiter finanziert.
Die Versuche, die Extremisten durch Druck auf die Bevölkerung zur Waffenruhe zu zwingen, erbrachten in der Vergangenheit allerdings nie das erhoffte Resultat. Nach Schätzungen der Weltbank sind bereits drei Viertel der Betriebe im Gazastreifen stillgelegt. Dass man sich in Jerusalem dennoch für diese Maßnahme entschied, die UN-Generalsekretär Ban Ki Moon scharf verurteilte und als Verletzung der israelischen Verpflichtung gegenüber der palästinensischen Zivilbevölkerung bezeichnete, deutet auf Ratlosigkeit der Minister hin. Auf der einen Seite geraten sie unter den Druck der von den Raketen bedrohten Bevölkerung, auf der anderen scheuen sie vor einer erneuten Invasion zurück.
Die Initiative, Gaza zum "feindlichen Gebiet" zu erklären, stammte von Verteidigungsminister Ehud Barak (Arbeitspartei), dem es erklärtermaßen darum ging, eine groß angelegte Militäroperation zu vermeiden. Das Ziel sei, die Hamas zu schwächen, dennoch rücke eine erneute Invasion näher, sollten die Raketenangriffe fortgesetzt werden, erklärte Barak. Gestern war ein minderjähriger Palästinenser ums Leben gekommen, als israelische Soldaten Hamasmilizen im Gazastreifen jagten.
Die Sanktionen sollen stufenweise eingeleitet werden. "Nach jeder Kassam-Rakete, die Israel erreicht, wird ein Stromschalter umgelegt", so rät Itzhak Cohen (Schass), Minister ohne Aufgabenbereich.
Der linke israelische "Friedensblock" warnte hingegen davor, "eineinhalb Millionen Menschen in Verbitterung und Hass gegen uns zu vereinen". Barak, der "formal Chef der Arbeitspartei ist, entpuppt sich als Chef der extremen Rechten in Israel", erklärte der "Friedensblock".
Hamassprecher Fausi Barhum bezeichnete die israelische Drohung als "Kriegserklärung". "Sie wollen unser Volk aushungern, um es zur Anerkennung der erniedrigenden Bedingungen zu zwingen, die die sogenannte November-Friedenskonferenz bringen könnte."
Der frühere Premierminister Ismael Hanijeh (Hamas) bemüht sich seit Mittwoch um eine Waffenruhe der palästinensischen Extremisten, um eine Eskalation abzuwenden. SUSANNE KNAUL
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Wirkung der Russlandsanktionen
Der Rubel rollt abwärts
Frauen in der ukrainischen Armee
„An der Front sind wir alle gleich“
Rauchverbot in der Europäischen Union
Die EU qualmt weiter
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag