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■ Gay & LesbianSapphos wilde Töchter

Berlin (taz) – Der Himmel öffnete seine Schleusen und brachte es an den Tag: Die schönste lesbisch-schwule Gemeinschaftsproduktion made in Berlin ist nach wie vor der Gay & Lesbian Run. Hier lebt sie noch – oder wieder? – die vielbeschworene, oftmals zur hohlen Phrase verkommene Solidarität der gleichgeschlechtlich Liebenden. Trotz des kontinuierlich dahinströmenden Regens traten am Samstagmorgen 350 gutgelaunte Läuferinnen und Läufer aus den alten und neuen Bundesländern, aus Kanada, Frankreich, den Niederlanden und der Schweiz an den Start für die klassischen Sprintstrecken sowie die 1.500 und 10.000 Meter. Der Hochsprung fiel aus Sicherheitsgründen buchstäblich ins Wasser, und als verwegene Sportlerinnen und Sportler in der Sprunggrube ein Unterwasserballett einstudieren wollten, beendete man den Weitsprung nach dem dritten Durchgang.

Das lesbisch-schwule Stadionsprecherduo transformierte kurzerhand zu Auktionären und nahm die phantasievollen Spontanangebote soeben gegründeter Teams entgegen. Da suchten „Sapphos wilde Töchter“ noch die Läuferin über 400 Meter und den „Spreewaldnixen“ fehlte die große Blonde für den Endspurt. Die originellste Staffel '93: „Lesbenschrott“. Die Läuferinnen erschienen in orangefarbener Montur und transportierten anstelle von Staffelhölzern Mülltonnen, Papierkörbe und allerlei Putzutensilien über die vom Regen aufgeschwemmte Laufbahn.

Die Zahl der homosexuellen SportsfreundInnen steigt jährlich an. Seit dem ersten Run 1991 hat sich die Zahl der lesbischen Läuferinnen gar ums Siebenfache gesteigert. Der Erfolg des bedeutendsten Berliner Sportereignisses homosexueller Provenienz basierte diesmal auf der gelungenn Annäherung von Projekten aus dem Ost- und Westteil der Stadt. Das Potsdamer „Homosexuellen-Integrations-Projekt“ (HIP) lieferte innovative Programmpunkte und integrierte die homoerotischen Athletinnen und Athleten in die Zelebration der tausendjährigen Geschichte Potsdams: Training im Babelsberger Karl-Liebknecht- Stadion und im Schloßpark von Sanssouci, Party im Strandbad Babelsberg. Die kulinarische Verantwortung trug der Ostberliner SonntagsClub.

Am Samstag abend ging die traditionelle Galaparty über die Bühne, mit erstklassigem Büfett, SiegerInnenehrung und anspruchsvollem Showprogramm. Das Gelingen der Sportveranstaltung ist nicht allein auf die perfekte Organisation zurückzuführen, sondern auch auf die Aufgeschlossenheit der Sportlerinnen und Sportler. Starres Konsumverhalten ist nicht angesagt. Die weitgereisten Schwulen und Lesben sind nach Berlin gekommen, um sich jenseits subkultureller Coolness zu begegnen.

Thomas Krüger, Schirmherr und Senator für Jugend und Familie, blieb der Gala diesmal fern – möglicherweise, weil ihm im letzten Jahr signalisiert worden war, daß schwule Jungen Rauschebärte nicht favorisieren. Doch im Jahre drei seines Bestehens wird der Gay & Lesbian Run auch durch namhafte Politiker und Politikerinnen unterstützt, die gerne zur Eröffnungs- und Schlußlaudatio kommen und hinterher das Tanzbein schwingen, ganz im Sinne der originären Bedeutung des Wortes „gay“. Ende der 50er Jahre malten die Lesben und Schwulen in San Francisco in großen Lettern den Slogan G.A.Y. auf ihre Demonstrationsplakate: Good As You.Andrea Winter

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