Gasversorgung in Deutschland: Vom Gas gehen
Der Weg, sich unabhängig von russischem Gas zu machen, ist lang. Schwimmende Flüssiggasterminals sollen helfen. Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Am Donnerstagmorgen um sechs Uhr ging es tatsächlich wieder los: Über die seit dem 11. Juli zur Wartung abgeschaltete Ostseepipeline Nord Stream 1 kam wieder russisches Gas nach Deutschland. Die Details:
Wie groß sind aktuell die Mengen?
Stündlich fließt seither eine Gasmenge von knapp 30 Gigawattstunden nach Deutschland. Das ist die gleiche Menge, die Russland vor der Wartung lieferte. Damit wird die Kapazität der Leitung weiterhin nur zu rund 40 Prozent ausgeschöpft. Nach Einschätzung des Bundeswirtschaftsministeriums spräche technisch nichts dagegen, Nord Stream 1 nach der abgeschlossenen Wartung wieder vollumfänglich zu nutzen: „Die geringere Auslastung bei rund 40 Prozent spricht daher eine klare politische Sprache und bestätigt, dass wir uns auf Lieferungen nicht verlassen können.“ Ähnlich äußerte sich der Branchenverband der deutschen Energiewirtschaft, BDEW. Der aktuelle Gasfluss könne „höchstens zu vorläufiger Beruhigung beitragen“. Man werde „auf eine dauerhafte und verlässliche Belieferung aus Russland nicht mehr bauen können“.
Wie entwickeln sich dadurch die Gaspreise?
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Die Akteure an den Energiemärkten zeigten sich – nachdem auch ein kompletter Ausfall der Lieferungen als möglich galt – geringfügig entspannt. Der Preis einer Megawattstunde Erdgas zur Lieferung im ersten Quartal 2023 lag am Freitag bei rund 162 Euro, nachdem er vor der Abschaltung von Nord Stream 1 bei fast 180 Euro gelegen hatte. Parallel gaben auch die Strompreise an der Börse, die stark vom Gaspreis beeinflusst werden, etwas nach.
Wie voll sind aktuell die Erdgasspeicher?
Nachdem die Gaslieferung vor zwei Wochen unterbrochen wurde, ging der Füllstand in den deutschen Speichern wieder leicht zurück. Insgesamt konnte der Füllstand in den zehn Tagen des Pipeline-Ausfalls dann aber aufgrund von Gaslieferungen aus anderen Ländern doch minimal von 157 auf 158 Terawattstunden aufgestockt werden. Aktuell sind die Speicher zu 65,2 Prozent befüllt. Sollten die russischen Gaslieferungen über Nord Stream 1 weiterhin nur bei 40 Prozent verharren, sei der gesetzlich vorgeschriebene Speicherstand von 90 Prozent bis zum 1. November (ein Ziel, das Wirtschaftsminister Habeck auf 95 Prozent erhöhen möchte) „kaum mehr ohne zusätzliche Maßnahmen erreichbar“, schreibt die Bundesnetzagentur.
Wie steht es um die Terminals zum Import von Flüssigerdgas?
Die Bundesregierung hat vier schwimmende Terminals für den Import von Flüssigerdgas (LNG) per Tankschiff gemietet. Zwei davon sollen zum kommenden Jahreswechsel in Wilhelmshaven und Brunsbüttel verfügbar sein, zwei weitere Ende 2023 in Stade und Lubmin. In Lubmin entsteht zudem bis Ende 2022 ein weiteres, fünftes LNG-Terminal durch ein privates Konsortium. Für die Anmietung der Terminals durch die Bundesregierung wurden Haushaltsmittel in Höhe von 2,94 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt.
Mit zusammen mindestens 20 Milliarden Kubikmetern pro Jahr können die vier Terminals rund 40 Prozent jener Erdgasmenge ins deutsche Netz bringen, die Nord Stream 1 bei voller Auslastung liefern würde. Oder anders gerechnet: Die vier Terminals können im Vollbetrieb zusammen rund 20 Prozent des aktuellen deutschen Erdgasbedarfs decken.
Wie kommt aktuell Erdgas nach Deutschland und in die EU?
Während in Deutschland ein LNG-Terminal vor dem Krieg in der Ukraine nie durchsetzbar war, haben Nachbarländer eine entsprechende Infrastruktur aufgebaut. Für Deutschland sind speziell die Terminals in Rotterdam (Niederlande), Zeebrugge (Belgien) und Dunkerque (Frankreich) relevant. Die ortsfesten Terminals sind mit einer jährlichen Kapazität zwischen 9 und 13 Milliarden Kubikmetern leistungsfähiger als die schwimmenden Einheiten, die Deutschland jetzt beschafft. In der vergangenen Woche wurden rund 3 Milliarden Kubikmeter LNG in der EU angeliefert, ferner kamen 2,5 Milliarden Kubikmeter Erdgas per Pipeline aus Norwegen, 600 Millionen aus Algerien.
Was macht die EU, um die Gasversorgung sicherzustellen?
Die EU-Kommission schlägt unter dem Titel „Save gas for a safe winter“ eine Verordnung vor, die alle Mitgliedstaaten verpflichtet, im Zeitraum vom 1. August 2022 bis zum 31. März 2023 ihren Gasverbrauch gegenüber den bisherigen Mengen um 15 Prozent zu senken. Die Mitgliedstaaten sollen dafür bis Ende September darlegen, wie sie die Gaseinsparungen mit nationalen Notfallplänen erreichen wollen. Mitgliedstaaten, die „Gassolidaritätslieferungen“ von besser versorgten EU-Staaten beantragen, müssen nachweisen, was sie getan haben, um die Nachfrage im Inland zu senken.
Für den Fall, dass „ein erhebliches Risiko einer gravierenden Gasknappheit besteht oder die Gasnachfrage außergewöhnlich hoch ist“, soll die Kommission die Möglichkeit bekommen, einen „Unionsalarm“ für die Versorgungssicherheit auszurufen, der den Mitgliedstaaten eine verbindliche Senkung der Gasnachfrage auferlegt.
Was tut die Bundesregierung zur Unterstützung betroffener Unternehmen bei steigenden Preisen?
Eine Sonderrolle nimmt der Gasimporteur Uniper ein. Das Unternehmen macht Verluste, weil es als Ersatz für ausbleibende Mengen aus Russland nun Gas aus anderen Quellen zu deutlich höheren Preisen einkaufen muss, diese aber aufgrund bestehender Verträge nicht ausreichend an die Abnehmer weitergeben kann. Bundeskanzler Olaf Scholz gab am Donnerstag bekannt, dass der Bund im Zuge einer Kapitalerhöhung mit rund 30 Prozent bei Uniper einsteigen wird, weil das Unternehmen für den Gasmarkt „von überragender Bedeutung“ sei. Darüber hinaus will der Bund im Rahmen der Ausgabe einer Pflichtwandelanleihe bis zu 7,7 Milliarden Euro in das Unternehmen stecken, sowie das bereits gewährte KfW-Darlehen an Uniper von 2 auf 9 Milliarden Euro aufstocken.
Aber auch für das produzierende Gewerbe gibt es ein 5 Milliarden Euro umfassendes Hilfsprogramm. Seit einer Woche können energieintensive Unternehmen beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) Anträge für Zuschüsse stellen. Diese umfassen einen Anteil der zusätzlichen Erdgas- und Stromkosten von Februar bis September 2022, soweit sich der Preis im Vergleich zum Durchschnittspreis 2021 mehr als verdoppelt hat.
Die Konditionen orientieren sich an Unternehmenszahlen und der Zugehörigkeit zu bestimmten Branchen. Das Zuschussprogramm solle die am stärksten betroffenen Unternehmen unterstützen, ohne aber mit der Gießkanne zu fördern, und ohne dass dies den Erdgasverbrauch ankurbelt oder preiserhöhend wirkt, so das Wirtschaftsministerium. Dieses verweist zudem auf eine „strikte Bonusverzichtsregel für die Geschäftsleitung“, durch die sichergestellt werde, „dass nur die Unternehmen ihre Kosten vergemeinschaften, die sich in einer wirklichen Notlage befinden“.
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