Gastkommentar: Triumph der Nichtpolitik
■ Bürgermeister siegt mit Anti-Kampf
Triumph der Nichtpolitik! Die unpolitischen Wähler haben einem unpolitischen Politiker ihre Stimme gegeben. Die Entpolitisierung Bremens hat ihren Gipfel erreicht. Obwohl jeder wußte, daß am 6. Juni in Bremen über die Bundesratsmehrheit von Rotgrün entschieden wird, stand dieser wichtige politische Aspekt nicht im Zentrum der Kommentare. Staunend verbreiteten sich vielmehr die Meinungsmacher der Republik darüber, wie in aller Welt der Spitzenkandidat der SPD und Regierungschef Henning Scherf seinen Wahlkampf damit bestreiten konnte, nicht gewinnen zu wollen. Und nun wird alle Welt rätseln, wie der radikal entpolitisierte Wahlkampf der Bremer SPD zu einem solchen Wahlsieg führen konnte. Ist der mutige Schritt, keine politischen Wahlaussagen mehr zu machen, vom Wähler belohnt worden, weil er eh keinem Wahlprogramm mehr traut? „Think positive!“ Das ist schließlich die Rettungsformel in unserer depressiven Welt. Das inhaltslose Versprechen, alle positiven Kräfte zusammenzufassen, ist tröstlicher als die Leerformel, Arbeitsplätze zu schaffen. Markiert Bremen die längst fällige Abkehr von programmatischer Politik und den Sieg sanftvager Sympathiewerbung?
Gemach, bevor wir zynisch über den eingelullten Henning-Wähler spotten, sollten wir prüfen, ob sich Bremens Wähler nicht doch politisch verhalten haben. Schließlich weiß jeder halbwegs aufgeklärte Bremer, daß der Zwei-Städte Staat jetzt und immerdar aus eigenem Steueraufkommen nicht zu sanieren und Außenhilfe nicht in Sicht ist. Die paradoxe Situation, daß Bremen nicht länger sein kann, was es ist, aber auch nichts Neues werden, paralysiert die Hirne der Politiker. Was sollen sie dem Wähler auch versprechen? Die Entschuldung Bremens? Einwohnerwachstum? Abbau der Arbeitslosigkeit? Mehr Geld und junge Lehrer für die Schulen? Die Liste der unmöglichen Notwendigkeiten ist lang. Gepumptes Geld kommt bald ans Ende und mit ihm auch die Politik. Weil das der Wähler weiß, wagt kein ernsthafter Politiker, ihm weiter die Lösung der Bremer Landesprobleme zu versprechen. Wer es dennoch tut, wird nicht gewählt. Und alle richten sich in diesem Wartaweil ein. Irgend etwas wird schon kommen. Bei Werder ging es ja auch weiter. Bauen wir derweil den Space Park und das Musical. Die retten zwar nichts, wie jeder weiß, putzen aber ungemein.
Soll man da nicht einen sympathischen Bürgermeister, der ohne Ansicht der Parteien alle positiven Kräfte des Landes zusammenbringt, unterstützen. Daß der auch keine Lösungen weiß und sich intelligent dazu bekennt, macht ihn erst richtig wählbar. Nein, Bremens Wähler sind auf niemanden hereingefallen. Sie sind Realisten, die die Lage ihres kleinen Bundeslandes richtig einschätzen. Daß sich das politische Nirwana und alle denkbaren Katastrophen in einer Großen Koalition am besten überstehen lassen, sieht jeder kluge Wähler leicht ein. Schließlich brächte Grün nach derzeitigem Erkenntnisstand nichts Neues in die Regierungsehe ein. Den von manchen vermutete linke SPD-Flügel zähmte ein starker Scherf. Es müßten ungeheuerliche neue Gedanken gedacht werden, um Rotgrün zu etablieren. Von wem? Horst-Werner Franke, Senator a.D.
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