Gastkommentar: „Es wird schofelig“
■ Hermann Kuhn (Grüne) zur aktuellen Personalnot in Bremens Gefängnissen
„Besser als hier ist es überall.“ Mit dieser bremischen Pointe haben die Bediensteten der Jus-tizvollzugsanstalten auf ihren immer schwierigeren Job aufmerksam gemacht. Die Fakten sind: Bei gestiegener Zahl von Häftlingen ist die Zahl der Planstellen von 1995 bis 2000 von 390 auf 274 heruntergefahren worden. In Wahrheit aber stehen, unter anderem durch die wachsende Dienstuntauglichkeit der ausgepowerten Beamten und die äußerst schleppende Freigabe ihrer Stellen, nur 214 Bedienstete tatsächlich zur Verfügung. Die Folgen: Die Zahl der Mitarbeiter pro Vollzugsgruppen sinkt, an die Stelle der Betreuung tritt der Einschluss. Und die Temperatur im Kessel steigt. Die Bediensteten weisen zu Recht warnend darauf hin.
Ihr Personalrat hat in der vergangenen Woche im Rechtsausschuss erneut darauf hingewiesen. Staatsrat Mäurer, Herr im Justizressort, verwies auf die Haushaltslage, auf Vergleichszahlen anderer Bundesländer (die als Flächenländer nicht vergleichbar sind, die anderen Stadtstaaten liegen deutlich besser als Bremen) und auf Roland Berger, der mit Organisationsuntersuchungen ein bisschen Zeit schinden soll. Aber Mäurer hat sich gehütet, den Personalstand auch nur anzudeuten, der zur Wahrnehmung des geltenden politischen Auftrages für humanen Strafvollzug nach seiner Meinung notwendig wäre.
Aber gilt dieser Auftrag denn noch? Auf dem Papier ja. Tatsächlich aber wird er zerrieben zwischen den Einsparungen beim Personal und dem großkoalitionär geförderten Eifer der Gesellschaft für Strafen. Das Ergebnis: mehr Haftzeiten bei eher sinkender Kriminalität, aber weniger Personal. Die Rechnung müsste relativ einfach sein: Wenn Staat und Gesellschaft mehr Strafen wollen, dann müssen sie auch die Ressourcen zur Verfügung stellen. Dem ist aber überhaupt nicht so, denn: Der Knast und die Menschen im Knast vor und hinter den Türen sind weit ab, interessieren nicht, so scheint es. Nur ruhig muss es sein. Die Vollzugsbeamten zahlen dafür, dass sie auf der dunklen Seite der Gesellschaft arbeiten. Und von den dunklen Seiten redet die große Koalition und ihr oberster Strahlhans bekanntlich aus Prinzip nicht.
Der ist übrigens auch Justizsenator. Einmal, im März diesen Jahres, war er auch im Rechtsausschuss der Bürgerschaft, als es um die Klage des Beirats der JVA Blockland ging, der Jugendvollzug in Bremen genüge nicht mehr dem gesetzlichen Auftrag der Erziehung und Betreuung. Scherfs Kernsatz gegen den Anstaltsbeirat war: „Mit der Idee des humanen Strafvollzugs kann man heutzutage keinen Blumentopf gewinnen.“
Der Kern der Idee eines humanen Strafvollzugs, von der der Justizsenator sich offen verabschiedet hat, war doch wohl, dass die Würde des Menschen auch im Knast gewahrt wird, dass der Strafgefangene so behandelt wird, dass er die Chance bekommt, trotz der Haft und ihrer negativen Nebenwirkungen ins soziale Leben zurückzufinden; und dass die Gesellschaft überhaupt ein Bewusstsein davon hatte, dass es für alle Seiten einen Sinn machen kann, Haft als Strafe zu vermeiden, eben wegen der Nebenwirkungen.
Darüber wieder nachzudenken, vielleicht etwas illusionsloser als vor 25 Jahren, ist gegenwärtig nicht auf den ersten Blick populär. Aber die Zahl der Strafgefangenen und der Hafttage ist nicht naturgegeben. Man kann ihr mit einer Vielzahl von Überlegungen entgegenwirken: Entkriminalisierung des Drogenkonsums statt der gegenwärtigen Kriminalitätsverstärkung; Vermeidung von Ersatzfreiheitsstrafen durch besseres Angebot von gemeinnütziger Arbeit – nicht umsonst, aber immer billiger und besser als Haft.
Die Alternative ist: Entweder mehr zu zahlen – dazu ist niemand bereit; oder aber weiterhin der Entwicklung im Knast zuzusehen beziehungsweise eben nicht hinzusehen und auf die Leidensfähigkeit der Menschen dort zu setzen. Das wäre aber so schofelig wie gefährlich.
Hermann Kuhnjustizpolitischer Sprecher der Grünen
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