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Gareth Joswig über das kultverdächtige Spiel Union Berlin gegen St. PauliSchnöder Pokalfight ohne viel Trara

Wer ist wohl antikommerzieller, der FC St. Pauli oder der 1. FC Union Berlin? Das war offenbar eine der Fragen, die laut der Deutschen Presse-Agentur im „Duell der Andersdenkenden“ am Dienstagabend im Pokalviertelfinale an der Alten Försterei geklärt werden sollten. Die Antwort muss lauten: Eigentlich keiner von beiden.

Zwar verzichten beide Clubs auf Nullaussagen, etwa dass Fußball unpolitisch sei. Und immerhin wird bei Union nicht auch noch das Eckenverhältnis von einem Sponsor präsentiert. Aber wer beim Profifußball mitmacht, muss sich am Kommerz beteiligen – umso dringender nach zwei existenzbedrohenden Pandemiejahren ohne prall gefüllte Stehtribünen. Und erst recht, wenn mit dem Halbfinaleinzug eine fette Prämie von zwei Millionen Euro winkt.

Und so war das heiß erwartete Kult­duell dann fußballerisch auch nur ein schnöder Pokalfight ohne viel Trara. Als wollten Union und St. Pauli das in beiden Klubs ohnehin ungeliebte Kult-Label auf dem Platz wegrumpeln. Das Niveau erinnerte an Zweitligaduelle zwischen den Mannschaften. Union ohne seinen einzigen ­richtigen Star Max Kruse, der kürzlich zum reichen Plastikklub VfL Wolfsburg wechselte. St. Pauli, im Aufstiegsrennen der zweiten Liga, ganz ohne Offensivambitionen. Zwei Ausrutscher der St.-Pauli-Defensive ­sorgten dafür, dass Union das Spiel gewinnen konnte.

Und mit Politik war trotz der beschissenen Weltlage auch nicht viel: Abgesehen von einer kurzen Schweigeminute vor Anpfiff nebst eher beliebiger Friedensbotschaft mit Kant-Zitat („Der Friede ist das Meisterwerk der Vernunft“) und einer einsamen Ukrai­ne-Fahne auf der Waldseite sowie ein paar blau-gelben Luftballons im Gästebereich.

Wunderschön aber war der bitterkalte Pokalabend dann natürlich trotzdem. Vor allem aus Union-Sicht: 90 Minuten Gesang, Spiel nach Rückstand gedreht, Endstand 2:1. Umgerechnet in Bierduschen: zwei. Wat willste mehr?! Union dürfte jetzt sogar so etwas wie ein Geheimfavorit auf den Pokaltitel sein – schließlich sind Bayern und Dortmund schon raus. Im Halbfinale stand Union zuletzt vor 21 Jahren – und zog dann sogar ins Finale gegen Schalke ein.

Bleibt noch die Frage zu klären, welcher Verein denn nun der antikommerziellste war. Nun, es ist Hertha BSC. Denn die verzichten durch ihren konsequenten sportlichen Misserfolg nicht nur auf Pokal­einnahmen, sondern haben als ambitionierter „Big City Club“ in den vergangenen Jahren sage und schreibe 375 Millionen Euro vom wohl schlechtesten Investor des Profifußballs, Lars Windhorst, verbrannt. Für so viel Antikapitalismus nimmt man doch gerne Abstiegsangst und Trainerwechsel in Kauf.

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