: Ganz phantastisch elastisch
Wie aus dem Gummiface Jim Carrey in zwei Jahren ein millionenschwerer „Cable Guy“ wurde ■ Von Anke Westphal
Anthony Hopkins hat ihm gratuliert, bei Nicholas Cage ist er eingeladen. Eine Titelgeschichte im Rolling Stone, eine in Premiere und eine in der amerikanischen Vogue. Die anderen Blätter nicht zu zählen – wer so viel Hochglanzpapier in seiner Pressemappe abheftet, hat es geschafft, auch wenn er eher eine „Grundsatzfrage“ (Cinema) als ein anerkannter Schauspieler ist. Wie Jim Carrey. „Es ist, als würde eine neue Riege die Bühne übernehmen. Als wenn sie die Schlüssel für den Laden den Kindern übergeben“, hatte Carrey mit Blick auf den Oscar von Nicholas Cage gemurmelt.
Der Kanadier James Eugene Carrey wuchs in einer Mittelstandsfamilie auf, die – der Vater verlor mehrfach seinen Job – in ärmliche Verhältnisse abglitt. Seine Paraderolle als loser white guy, der sich zum höheren Wohle einer wie auch immer verstandenen Komik selbst zum Gegenstand der Demütigung macht, hat Carrey ein Vierteljahrhundert im realen Leben proben dürfen. Als Stand-up-comedian witzelte sich der jetzt 34jährige Carrey durch die Clubs von Los Angeles. 1990 landete er seinen ersten großen Knüller in der Fernsehserie „Living Color“, wo er den Zuschauern als Feuerwehrmann Bob extrem dubiose Ratschläge zur Brandverhütung erteilte. Der durchschlagende Kassenerfolg von „Ace Ventura“ qualifizierte Carrey 1994 schließlich für „Die Maske“. Ace Ventura ist ein Tierdetektiv, dessen Hausbesitzer Tiere in der Wohnung verboten hat. Wenn der Vermieter argwöhnisch durch das Schlüsselloch schnüffelt, tauchen Aces hundert Häschen, Hamster, Katzen und Waschbären in Waschmaschine und Mülleimer ab. Als das Maskottchen der Miami Dolphins, ein – raten Sie's? – Delphin, aus dem Wasserbecken verschwindet, schreitet Ace in gestreifter Hose und entschieden geblümtem Hemd zur Tat. Carrey findet die Rolle heute bahnbrechend, denn „vor ,Ace Ventura‘ hat es kein Schauspieler je in Betracht gezogen, sich mittels seines Arsches zu unterhalten“. Eine ebenso drastische wie treffende Bemerkung. Jim Carreys Stil ist reines Produkt einer dreißigjährigen Hingabe an Fernsehen und Comic, einer aggressiven Hingabe wohlgemerkt, die sich ungezielt und völlig unberechenbar ausagiert – das schockt. Carreys alles andere als subtile Klamottenkomik lehnt sich an Jerry Lewis an, sein großes Idol, an Carreys Geistesahnen Harry Ritz und den Exzentriktänzer Ray Bolger. In „Die Maske“ spielt Carrey denn auch einen besonders gelenkigen Verlierer. Über all der Überdrehtheit vergißt man glatt, daß rubber face Carrey einst zu Produkten der Hochkultur („Peggy Sue hat geheiratet“, „Pink Cadillac“) beitrug. Das ist zehn Jahre her.
Jetzt winkt Fortsetzung auf Fortsetzung in der Sparte Extremklamauk. Jeder von Carreys Filmen hat mehr als 100 Millionen Dollar eingespielt, sogar „Dumm und dümmer“ (1994). Zusammen macht das 550 Millionen bei geringem Produktionsaufwand. Was ein Argument ist. Für seinen Auftritt als The Riddler, das menschliche Fragezeichen, in „Batman Forever“ regnete es 1995 schon sieben Millionen Dollar Gage auf das Gummigesicht. „The Cable Guy“ in der Regie von Ben Stiller („Reality Bites – Voll das Leben“) versetzte Jim Carrey mit 20 Millionen Gage schließlich in jene höchstbesteuerten Sphären, wo sich Tom Hanks und Tom Cruise vermutlich verdutzt nach ihm umsehen. „Die Leute denken immer, ich lebe in dieser Riesenvilla – und es stimmt!“
Vielleicht ist der Oscar näher als die Welt, wenn auch nicht gerade für den von der amerikanischen Presse ungeliebten „Cable Guy“. Ben Stiller drehte von jeder „Cable Guy“-Szene zwei Versionen: eine helle und eine dunkle. Er konnte sich nicht recht entscheiden, ob der Stoff nun Komödie, Thriller oder Tragödie abgibt.
Den ersten Tag seines Lebens als Frischverlassener krönt der Architekt Steven Kovacs mit einem großen Fehler: Er läßt einen Handwerker in seine neue Wohnung. Chip Douglas (Jim Carrey), so nennt er sich gerade, wählt seine Namen aus Fernsehserien – dieser hier ist aus „My Three Sons“. Chip ist nicht nur „Kabelmann“, sondern auch ein manischer Soziopath und sehr, sehr einsam. So einsam, daß er weder Gut noch Böse kennt, wenn es darum geht, endlich einen Freund – nun ja – zu kapern. Chip, ein wandelnder Alptraum, lispelt Steven (Matthew Broderick) den Anrufbeantworter voll – neun Anrufe auf eine halbe Stunde! –, verprügelt die Verehrer von Stevens wankelmütiger Freundin, kämpft dessen Basketballteam mit Körpereinsatz zu Brei und schleppt ihm die neueste High-Tech-Anlage in die Wohnung. Leider ist dieselbe geklaut, was sich als Nachteil erweist, als Steven die Nase voll hat von Chips Anhänglichkeit. Grace Slicks „Somebody to love“ kommt in Chips Karaokeversion zu Ehren – in dem Moment glaubt man, daß Love & Peace eine besonders gruselige Geisteskrankheit ist und an allem schuld. Dazu spielt der Regisseur selbst in einer Nebenhandlung einen ehemaligen TV-Kinderstar, der seinen Zwillingsbruder, ebenfalls ein Fernsehstar, getötet hat und dessen Prozeß (O.J. Simpson läßt grüßen) nun im Fernsehen übertragen wird.
Die Idee des Films ist klassisch: Der gute Junge wird seinen dämonischen Zauberlehrling nicht mehr los, was nicht am guten Jungen liegt. „The Cable Guy“ scheint außerdem so etwas zu sein wie „Single, weiß, männlich sucht“. Für Jim Carrey, den haarsträubend nervösen Grimassenschneider, ist die zweite Regiearbeit von Ben Stiller (nach „Reality Bites“) ein Spaziergang ins Dunkel. Die Zeichen purzeln durcheinander. Es ist nicht ganz klar, wo die Drolligkeit der Formen, Höflichkeit und andere Vereinbarungen enden und der Wahn beginnt. Daß Carreys Kabelmann so aggressiv lustig und angsteinflößend zugleich ist, kann einen nicht kalt lassen.
Zwanzig Millionen ist Jim Carrey also wert. Das ist schon ein bißchen unheimlich. Nun erwartet gewiß niemand, daß ein Mann wie Carrey nächtens von Michelangelo träumt wie Adam Durwitz von den Counting Crows. In der DDR wurden Putzfrauen zu „Raumpflegerinnen“ erhoben. Seit Wirksamwerdung der Political Correctness heißen Idioten in den USA „severely intellectually challenged persons“. Was Carrey angeht, so trifft das voll in den Trigeminus. „In ihm ist eine wirklich seltsame Energie, ich weiß nicht, woher die kommt, aber ich bin froh, daß er sie herausläßt“, so Ben Stiller, dessen Interesse für Carrey neuerdings von Steven Spielberg geteilt wird. Jim Carrey – ein Mann grimassiert sich nach oben? Das mit dem loser white guy allein kann das Geheimnis von Carreys Erfolg nicht mehr erklären. Mit der Zeichenhaftigkeit seiner manisch-depressiven Gesichtsmuskelakrobatik – Kontrolle, wo ist Kontrolle?! – kommt man am ehesten weiter.
Mir kommt es jedenfalls so vor, als ob Jim Carrey vorwegnimmt, wovor wir uns fürchten, weil wir es eines Tages trotz allen Yogi-Tees vielleicht sein werden: Durchschnittsneurotiker auf dem Weg zu komplett entwickelten Durchschnittspsychopathen. Auch eine Variante der Entwicklung vom Niederen zum Höheren. In „Cable Guy“ antwortet etwas in Steven immer stärker auf Chips Wahn, so sehr er sich auch sträubt. Herzlich willkommen.
„The Cable Guy – Die Nervensäge“. Regie: Ben Stiller
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen