: Ganz konkrete Töne
Das Regietalent Malte Ubenauf bringt beim Junge-Hunde-Festival muskalisches Wahrnehmungstheater auf die Bühne ■ Von Marga Wolf
Die Partitur liegt aufgeschlagen auf einem Notenständer. Namen und Begriffe wie Cotta, Weberin, Erinnerung, Musik bezeichnen die Linien, die sich gleichmäßig waagerecht über das Papier ziehen. Die untere Hälfte der Seiten füllt ein Text. Dialoge, dann Zeilen in Großbuchstaben, die für einen Gedanken stehen, und Sätze, die als Monolog gesprochen werden. „Theaterkomposition“ nennt Malte Ubenauf seine im Rahmen des „Junge Hunde“-Festivals mit dem ensemble rabiat realisierte Produktion Cotta, in der er Sprache, Bewegung, Musik, Kostüm und Raum zu einem sinnlich erfahrbaren Gesamtkunstwerk verschmelzen will. Am 10. Mai hat das auf dem Roman Die letzte Welt von Christoph Ransmayr und den darin integrierten Texten von Ovid basierende Stück auf Kampnagel Premiere.
Der junge Hamburger Komponist und Theatermacher Ubenauf - zur Zeit schreibt er an seiner Magisterarbeit über das Phänomen der Intertextualität in der Musik - baut auf die Trennung und Gleichwertigkeit der verschiedenen medialen Ebenen. „Ein Medium bedient hier nicht ein anderes“, erklärt der 26-Jährige, während er mit blumigen Gesten seine Rede schmückt, „selbst das Licht existiert als eigenständiges Element im Raum und dient nicht dazu, die Darsteller zu beleuchten.“ Der Moment der Wandlung ist das zentrale Motiv. Ransmayrs Roman erzählt darin die Geschichte, wie der junge Römer Cotta auf der Suche nach dem verbannten Poeten Ovid und dem verschollenen Skript der Metamorphosen ans schwarze Meer reist. Das Ziel der Reise beginnt sich bereits bei der Ankunft aufzulösen. Ein schleichender Persönlichkeitswandel befällt den jungen Cotta, der mehr und mehr eins wird mit der Gedankenwelt Ovids, die ihm in der Figur des Echo begegnet und zunehmend verschmilzt mit der ihn umgebenden Landschaft, in die sich das verloren geglaubte Manuskript in Form von Zeichen und Steinschriften eingebrannt hat. „Sein Haar verwächst mit dem Moos, die Fingernägel werden zu Schiefer“, heißt es in der Textvorlage.
Doch will Ubenauf Metamorphosen nicht als Naturereignisse, sondern als gedanklichen Prozesse verstanden wissen, in denen sich die Figuren seiner Darsteller mehr und mehr in der Sprache auflösen und sich der Handlungsfaden dekonstruiert. Das Thema der Veränderung geht er dabei von einer abstrakt kompositorischen Richtung an und beruft sich dabei auf das Prinzip serieller Kompositionstechniken, wie sie Stockhausen oder Luigi Nono entwickelt haben, in der sich in der Gleichbehandlung musikalischer Parameter über die Zeit Verschiebungen einstellen.
Jan Dvorak, der unter anderem die Musik zu Jan Riekes Film Härtetest geschrieben hat, komponierte nach dieser strengen Vorlage die Musik, sammelte konkrete Töne, ließ weitere Fragmente auf Instrumenten einspielen. Daneben legte er für die Figur des Cotta eine Erinnerungsspur, auf der er dokumentarisches Material im Stil einer Radioreportage arrangierte. Der dritte im Bunde des 1994 mit der Produktion Quarantäne aus der Taufe gehobenen ensemble rabiat ist der Bühnenbildner Dirk Meinzner. Kürzlich stellte die im losen Verbund arbeitende Künstlergruppe auf Kampnagel die musikalische Projektreihe „Aggregate“ vor.
Zwar steht in Cotta der dramatische Aspekt im Vordergrund, doch will Malte Ubenauf sich hier mit musikalischen Ideen und Prinzipien dem Theater nähern. Die musikalische Erfahrung nimmt er als Ausgangspunkt, um Räume für das Theater zu öffnen. „Für den geübten Theaterblick“, meint er, „bedeutet das sicher eine Irritation.“ Im letzten Jahr hospitierte Ubenauf bei Christoph Marthaler, während dieser an seiner Produktion Zur schönen Aussicht für die Salzburger Festspiele arbeitete. Vor allem die Art und Weise, wie Marthaler es versteht, mit Raum und Rhythmen realistische Zeitmomente zu sprengen, haben den gebürtigen Hamburger beeindruckt. Bereits während seiner Schulzeit hat Ubenauf ein Kompositionsstudium an der Musikhochschule absolviert. Jetzt steht er kurz vor dem Magisterabschluss in Musik- und Literaturwissenschaften an der Universität Hamburg, um sich dann ausschließlich der weiteren Erforschung eines musikalischen Wahrnehmungstheaters zu widmen.
Mi, 10. bis Fr, 12. Mai, jeweils 20 Uhr, k6
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