Gabriel für Volksabstimmung in Euro-Staaten: Streit um Schulden-Haftung
Der Streit um die europäischen Schulden gewinnt an Schärfe. SPD-Chef Gabriel fordert eine Volksabstimmung über ihre Vergemeinschaftung. Kritik daran kommt von der FDP.
BERLIN dapd | Für neues Feuer in der Debatte über die Eurorettung sorgt der Vorschlag von SPD-Chef Sigmar Gabriel für eine Volksabstimmung in allen Ländern Europas über eine Vergemeinschaftung der Schulden. Während einige bekannte Ökonomen am Montag den Vorschlag begrüßten, übte die FDP heftige Kritik.
FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle sagte, die schwarz-gelbe Koalition freue sich darauf, „die Bundestagswahl zu einer Abstimmung über Herrn Gabriels Schuldensozialismus zu machen“. FDP-Generalsekretär Patrick Döring warf den Sozialdemokraten einen Schlingerkurs vor und nannte Gabriels Vorstoß „albernes politisches Kasperletheater“. Es werde „Zeit für ein Machtwort“ des SPD-Fraktionsvorsitzenden Frank-Walter Steinmeier, „um die Seriosität sozialdemokratischer Politik wieder herzustellen“, forderte er.
Gabriel hatte sich unter anderem für eine gemeinschaftliche Haftung für die Schulden der Eurostaaten ausgesprochen. Zugleich hatte er in der Berliner Zeitung eine strenge gemeinsame Haushaltskontrolle der einzelnen Staaten gefordert.
Dafür sollte nach seiner Vorstellung ein Verfassungskonvent eine Grundgesetzänderung erarbeiten, die dann den Bürgern in einer Volksabstimmung vorgelegt werden sollte. Er werde den Vorschlag in die SPD-Gremien einbringen und auch bei den Vorsitzenden der anderen sozialdemokratischen Parteien in Europa dafür werben, sagte Gabriel.
Beifall von Ökonomen
Bei deutschen Ökonomen stieß der Ansatz auf Zustimmung. So „könnte es gelingen, die ökonomischen und politischen Argumente für und gegen diesen Weg umfassend zu beleuchten“, sagte der Konjunkturchef des Münchner Ifo-Instituts, Kai Carstensen, der Onlineausgabe des Handelsblatts. Stimmten die Bürger zu, wären „Transfers demokratisch legitimiert“.
Auch der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Michael Hüther, zeigte Sympathie für die Idee. „Gabriel hat recht, dass eine weitergehende Fiskalunion mit strengen Regeln für die Haushaltskontrolle nicht auf der Basis des bestehenden Grundgesetzes möglich ist“, sagte Hüther.
Allerdings bedeute das ein zeitaufwendiges Verfahren, weshalb der Vorschlag „kein Lösungsbeitrag zur gegenwärtigen Krise“ sei. „So wichtig die demokratische Verankerung der weiteren europäischen Entwicklung auch ist, sie benötigt schlichtweg viel mehr Zeit.“
Michelin-Chef spricht von europäischer Föderation
Zugleich sprachen sich viele Beobachter für eine tiefere europäische Integration aus, ohne dabei direkt auf Gabriel Bezug zu nehmen. So warnte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebunds, Gerd Landsberg, vor einem Scheitern des Euro, weil eine Rückkehr zur D-Mark eine bis zu 30-prozentige Aufwertung gegenüber anderen Währungen bedeuten würde, sagte er in Berlin. Die Folge wäre eine tiefe Rezession mit höherer Arbeitslosigkeit. "Wir brauchen nicht weniger, sondern mehr Europa, wenn wir unseren Wohlstand langfristig sichern wollen", betonte Landsberg.
Der Chef des französischen Reifenkonzerns Michelin sprach sich sogar für eine gemeinsame europäische Nation aus. „Wenn sechs oder sieben Länder Europas enger zusammenrückten, so wie es derzeit diskutiert wird, und einen föderalen Staat schaffen würden, gäbe das der EU und ihrer Wirtschaft Auftrieb“, sagte Jean-Dominique Senard der Süddeutschen Zeitung. Er spreche dabei von einem kleinen Kreis von Staaten, der zunächst vielleicht damit anfange, ein gemeinsames Budget zu haben.
„Ich weiß, dass dies kein einfaches Thema ist, aber das darf uns nicht davon abhalten, darüber nachzudenken“, sagte Senard. Er sei aber überzeugt, dass nur so das Vertrauen der Menschen zurückgewonnen werden könne.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken