GERHARD SCHRÖDERS ARBEITSBESUCH IN WIEN DÜRFTE LUSTIG WERDEN: Kanzler in ziviler Gesellschaft
Wolfgang Schüssel und seine Mitbewohner im Wiener Regierungscontainer geben sich alle Mühe, nach außen hin ungerührt zu scheinen. Doch dafür springen die feschen rechten Jungs aus dem Hause Springer ein: „Schröder düpiert Schüssel“ giftet die Welt. Was ist geschehen? Bisher noch nicht viel: Gerhard Schröder wird Ende Mai Österreich einen offiziellen Besuch abstatten – erstmals seit Abschluss des Schüssel-Haider-Pakts vor mittlerweile knapp 16 Monaten. Über den Ablauf ist inzwischen schon genug durchgesickert, dass man feststellen kann: Der Kanzler hat sich für den heiklen diplomatischen Grenzgang entschieden. So viel Intimitäten mit der österreichischen Regierung wie gerade nötig, um der diplomatischen Etikette zu entsprechen; so viel demonstrative Distanz zur Wiener Rechtsaußenkoalition wie nur möglich.
Dafür wird sich Schröder ostentativ mit der österreichischen Opposition verbrüdern; mit der parlamentarischen in Gestalt seines sozialdemokratischen Gegenübers, SPÖ-Chef Alfred Gusenbauer; doch auch mit der außerparlamentarischen Opposition aus kritischen Künstlern, unabhängiger Intelligenz und widerständigen NGOs, die in den vergangenen eineinhalb Jahren erstaunlich hartnäckig gegen die Regierung agierten. Ein Sommerfest mit Kanzler und auch sonst viel Tête-à-Tête mit der „Zivilgesellschaft“ hier, ganz kurze Rendezvous mit Schüssel & Co da. Die FPÖ-Regierungsmitglieder müssen draußen bleiben. Allenfalls darf sie Schüssel beim offiziellen Mittagessen einschmuggeln.
Man kann dies Gehässigkeit mit protokollarischen Mitteln nennen; besser aber noch eine konsequente Haltung, wie man sie sich in allen ähnlichen Fällen wünschen würde. Jedenfalls liefert die Wiener Regierung laufend Gründe genug, ihr gegenüber Distanz zu markieren: Da beginnen Staatsanwälte – unter einem freiheitlichen Justizminister – wieder damit, Journalisten auf Basis des längst vergessenen Tatbestandes der „verbotenen Veröffentlichung“ juristisch zu verfolgen; da werden Leute in die Spitze der Ministerialbürokratien gehievt, die sogar Jörg Haider kritisieren, weil der nicht mehr wild genug gegen „Heroinafrikaner“ hetzt. Alles Beispiele aus den vergangenen paar Tagen. Sicher, auch der Kanzler einer pluralistischen Demokratie kann sich, ganz diplomatisch, mit solchen Leuten zum Smalltalk treffen. Besser aber ist’s, er trifft sich mit jenen Leuten, die mit einer solchen Regierung nichts am Hut haben.
Die FPÖ schäumt. Das demokratische Österreich heißt Gerhard Schröder herzlich willkommen. Genau so soll es sein. ROBERT MISIK
Leiter des Ressorts Ausland beim Wiener Magazin Format
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