GERANGEL UM DIE TELEKOM: BLAMIERT HAT SICH DIE POLITISCHE KLASSE: Wenn Schufte Schufte Schufte nennen
An atemlosen Superlativen ist derzeit kein Mangel. Die Worte Debakel und Fiasko gehen Unionspolitikern im Dutzend billiger über die Lippen. Was ist passiert? Ron Sommer ist zurückgetreten worden. Dafür gibt es ein paar gute Gründe: Die Telekom hat zu viele Schulden, der Aktienkurs ist, wie in der gesamten Branche, im Keller. Und der Voicestream-Kauf war ein Fehler, Sommers Fehler.
Steht deshalb das „größte Desaster der deutschen Wirtschaftsgeschichte“ bevor, wie der stets mit Augenmaß und Seriosität formulierende FDP-Chef Westerwelle meint? „Eine Katastrophengeschichte für die deutsche Wirtschaft“, wie der feinsinnige Laurenz Meyer befürchtet? Unfug. Diese hyperventilierende Rhetorik hat mit den ökonomischen Fakten nichts zu tun. Ja, es kann sein, dass manche Investoren ohne Sommer nun zu viel Staatseinfluss befürchten und sich zurückhalten. Andererseits kann der überfällige Voicestream-Verkauf ohne Sommer jetzt schneller und besser klappen. So sieht es aus. Wo ist der Skandal?
Die ganze Debakel-Rhetorik hat nur ein Ziel: Die Union will politisches Kapital aus der Telekom-Baisse und Schröders Ungeschicklichkeiten schlagen. Darum geht es – und wenn man unbedingt von Skandal reden will, dann hier. Denn Stoiber hatte versucht, Schröder die Verantwortung für die Aktienbaisse zuzuschieben – und gefordert, dass die Politik eingreifen müsse. Als Schröder & Co. dies zaghaft taten, da warf sich die Union versammelt in Anklägerpose und rief: Schröder mischt sich ein! Skandal! Brillant brachte der CSU-Mann Michael Glos dieses populistische Doppelspiel auf den Punkt. Erst warf er Schröder vor, dass er aus egoistischen Interessen den armen Ron Sommer gemobbt habe – dann klagte er, dass die Regierung die Union bei der Nachfolgersuche nicht um Rat fragte. Was für ein Schurkenstück! Blamiert ist nicht die Telekom, blamiert ist die politische Klasse, die sich für ein paar Stimmen mehr für keinen Radau zu schade ist. Denn Gelegenheit macht Populisten. Oder glaubt jemand, dass sich ein Kanzlerkandidat Schröder einen Deut anders als Stoiber verhalten hätte? STEFAN REINECKE
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