GENTECH-GRENZWERTE DER EU KÖNNEN POLLENFLUG NICHT VERHINDERN: Kontaminierung wird teuer
Der Streit um Grenzwerte bei gentechnisch veränderten Futter- und Lebensmitteln scheint vorerst beigelegt – zu Ende ist er nicht. Weitere Auseinandersetzungen sind abzusehen, etwa um die Frage, wer für den wirtschaftlichen Schaden aufkommt, wenn Ökobauern keinen Abnehmer für gentechnisch kontaminierte Ernten mehr finden.
In Kanada bauen Ökofarmer bereits jetzt keinen Raps mehr an, weil sie keine Gentechnikfreiheit mehr garantieren können. Eingekreist von Gentech-Äckern, werden ihre Pflanzen regelmäßig mit nicht erwünschten Pollen kontaminiert. Und da Pollen auch in Europa fliegen, steht zu befürchten, dass der Kompromiss-Grenzwert von 0,9 Prozent Gentech-Verunreinigungen in nicht genetisch veränderten Nahrungsmitteln nicht haltbar sein wird, wenn in Zukunft immer mehr Bauern auf Saatgut aus dem Labor umsteigen. Dann bleibt nur eine Lösung: Höhere Grenzwerte. Langfristig bedeutet das wahrscheinlich auch, dass der Ökolandbau von seinem bisher standhaft verteidigten Grundsatz „Gentechnik – nein danke!“ Abstand nehmen muss. Auch die von Gentech-Gegnern und -lobbyisten unisono geforderte „Wahlfreiheit der Verbraucher“ können wir dann vergessen.
Besondere Brisanz erhält die Grenzwertdiskussion zusätzlich durch die neuesten Entwicklungen in der Gentech-Industrie. In vielen Laboren wachsen bereits jetzt die Arzneimittellieferanten der Zukunft: Pharmapflanzen, die mittels der Gentechnik so manipuliert wurden, dass sie jetzt hochwirksame pharmazeutische Substanzen wie etwa menschliche Antikörper zur Bekämpfung von Tumoren, Impfstoffe gegen Malaria oder gegen den HI-Virus in ihrem Inneren anreichern. Im US-Staat Nebraska mussten die Behörden schon die Vernichtung von Pflanzen anordnen, weil sie mit einem pharmazeutischen Wirkstoff, einem Enzym zur Behandlung von Diabetis, verunreinigt waren. An diesem Punkt erübrigt sich dann auch jede Grenzwertdiskussion. Selbst die Nahrungsmittelindustrie in den USA, die der Gentechnik bisher sehr wohlwollend gegenüberstand, ging da plötzlich auf die Barrikaden. WOLFGANG LÖHR
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