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GELD IST MEHR WERT ALS ARBEIT. DER KAPITALISMUS VERLIERT SEINE BASISArbeitslose an die Börse!

Heute glaubt das keiner mehr. Den alten Spruch von den Arbeitgebern, pünktlich zu jeder Tarifrunde. Je bescheidener die Löhne erhöht würden, „desto mehr Arbeitsplätze können geschaffen werden“, behauptete Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt, zuletzt am vergangenen Sonntag. Und deswegen sollten sich die Gewerkschaften auch in der diesjährigen Tarifrunde zurückhalten. Abrücken sollen die Arbeitnehmervertreter davon, in der Metallindustrie oder im öffentlichen Dienst um mindestens fünf Prozent höhere Gehälter zu fordern. Höhere Löhne vernichten Jobs und sind unsolidarisch gegenüber den Arbeitslosen – so die alte Botschaft der Unternehmer. Die Entwicklungen in der Wirtschaft führen diese Botschaft ad absurdum.

 Jobs entstehen und verschwinden meist unabhängig davon, ob die Gehälter zwei oder vier Prozent mehr kosten: Der Zusammenschluss von Dresdner und Deutscher Bank lässt 16.000 Beschäftigte überflüssig werden, und das hat nichts mit deren Gehaltsforderungen zu tun. Die Aktienkurse klettern in luftige Höhen, und das lässt sich immer weniger auf die wirtschaftliche Ertragskraft eines Unternehmens zurückführen und am allerwenigsten auf die Arbeitsleistung derjenigen, die in der Firma ackern. Mit Geld lässt sich gegenwärtig glücksweise mehr Geld machen als mit Arbeit – und das ist der entscheidende kulturelle Sprung.

Es ist schwierig, einer Krankenschwester eine tarifliche Lohnsteigerung von drei Prozent zu verweigern, wenn ihr Chefarzt an der Börse kürzlich mehrere tausend Mark hinzuverdient hat. Es ist kaum zu vermitteln, warum ein Facharbeiter nicht ein paar Prozent mehr in der Tasche haben soll, wenn das Management nur durch Aktienoptionen Millionen scheffelt. Wenn Arbeitseinkommen und Geldeinkommen auseinander klaffen, verliert der Kapitalismus seine alte ideelle Grundlage, die auf dem Lob der Arbeit beruhte.

 Zynisch gesprochen, könnte man jedem Arbeitslosen ein paar Finanzratgeber leihen, ihm ein Online-Konto zuweisen und ein bisschen Geld für den Aktienkauf zustecken, schon wäre er wieder integriert in die Gesellschaft – jedenfalls virtuell.

 Der Wert der Arbeit ist immer schwerer zu bestimmen, das beweisen auch die wenigen Shooting Stars in der High-Branche, die mit Produkten, die nur wenige verstehen, rasch zu Millionären geworden sind. Doch wenn der Wert der Arbeit wacklig ist wie ein Aktienkurs, dann müssen sich nicht nur die Arbeitgeber von alten Argumenten für niedrige Löhne verabschieden. Das gewohnte Rollenspiel der Tarifrunden wird bald historisch sein.

BARBARA DRIBBUSCH

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