■ BÜHNE BERLIN: GEIST DES HAUSES
B Ü H N E B E R L I N G E I S T D E S H A U S E S Gar nicht so unwichtig: Mögen Schauspieler und andere Theaterschaffende ihr Haus? Sind sie imstande, ein affektives, womöglich sogar emotionales Verhältnis zu „ihrem“ Theaterbau zu entwickeln und zu pflegen? Im Schöneberger Staatstheater am Rathausplatz, in diesem höchst subventionierten Haus scheint es übel zu stehen um die emotionale Temperatur, ums Gefühlsleben in den täglichen vier Wänden.
Ein entscheidender sozialer Ort in jedem Theater ist die Kantine: Dort sitzt man nach den Vorstellungen, bespricht Erfolg oder Mißerfolg schauspielerischer Arbeit, dort werden Karrierepläne vorbereitet, Intrigen eingefädelt, trunkenheitsbedingte Lustigkeiten ausgetauscht. Die sogenannte Stimmung in einer Theaterkantine darf als bedeutsamer Gradmesser für das kreative Potential eines Hauses gelten. Und Alkohol ist selbstverständlich ein entscheidendes Schmiermittel der Interaktion. Das „Rathaus“ dürfte in dieser Hinsicht Schlußlicht unter den Theatern sein: Lediglich etwa 30 bis 50 Flaschen Bier werden nach Auskunft des Kantinenwirts täglich umgesetzt. Da die Möglichkeit einer Falschaussage bei der bekannten Ehrenhaftigkeit von Kantinenchefs ausscheidet, läßt sich die kärgliche Trinkerei wohl nur damit erklären, daß sich die Insassen des Schöneberger Hauses den Alltag entweder mit anderen Drogen versüßen (Marihuana?) oder aber Flaschen in ihren Schreibtischen lagern. Zum Vergleich: Die Kantine des Schiller-Theaters gibt als Schätzwerte ca. 50 Liter Bier, ca. eine Flasche Schnaps und etwa vier bis fünf Flaschen Wein pro Tag an.
Vielleicht macht der Geist des Hauses die meisten der in ihm Einsitzenden selbst zum tobsüchtigen Trinken zu grämlich. Auf die Frage, was bedrückend, was entzückend sei im Schöneberger Haus, antwortet z.B. eine lebensfrohe Alternative: „Ich sehe nichts Entzückendes“. Das Haus sei einfach unheimlich dick, buchstäblich eine Festung, gibt sie weiter zu Protokoll. „Wenn man in diese Festung 'reinkommt“, seufzt Elkebarbara Meyer weiter, „wird einem noch kälter als man je gedacht hätte, daß es einem werden könnte. Der Oberspielleiter des Schauspiels dagegen, Eb. Diepgen, mag sein Büro. Das zumindest glaubt einer der „Chefs vom Dienst“ im Senatspresseamt „an der Art“ zu erkennen, „wie er das Büro auf seine persönliche Stimmungslage eingerichtet hat“. Diese also verlangte, daß ein Öl-Großbild „aus der Gruppe der Jungen Wilden“ (Presseamt), vor einiger Zeit gegen ein ebenfalls sehr großes Gemälde „von Professor Fußmann“ ausgetauscht wurde: Diese wiederum zeigt, nach der Wahrnehmung des Presseamtlers, „ein Frauen-Bildnis, noch gegenständlich, sehr farbig, sehr expressiv.“ In den Treppenhäusern geht es
-weder farbig noch expressiv, dafür umso „gegenständlicher“ zu: Furchtbarste Porträtpinseleien hängen dort fett und bräsig an den Wänden herum und scheinen jedem, der über die roten Teppiche durch den gruftartigen Bau läuft, sofort zu signalisieren: Ihr, die Ihr Kultur sucht, weite Horizonte, „Lebensart“ oder gelebtes Wissen: Laßt alle Hoffnung fahren!Klaus Nothnagel
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