GDL-Chef Weselsky über Bahnstreik: „Das passt nicht zusammen“
Der Vorsitzende der Lokführergewerkschaft beklagt, dass die Bahn Gespräche absagt, Züge nicht fahren lässt und den Streikenden die Schuld am Chaos gibt.
taz: Herr Weselsky, die GDL scheint sich allmählich warmzustreiken. Heute und morgen wird der Zugverkehr für 14 Stunden lahmgelegt. Die Bahn scheint das nicht zu beeindrucken. Wie soll es weitergehen?
Claus Weselsky: Das müssen Sie eher die Verantwortlichen bei der Bahn AG fragen. So wurde der Fern- und Regionalverkehr ohne nachvollziehbare Begründung bereits Stunden vor dem Beginn des Streiks weitgehend eingestellt, um das dann entstandene Chaos der GDL in die Schuhe zu schieben. Gleichzeitig hat der Personalvorstand der Bahn, Ulrich Weber, die für den gestrigen Abend vereinbarten vertraulichen Gespräche kurzfristig ohne Begründung abgesagt und behauptet dennoch, wir würden Verhandlungen verweigern. Dass passt doch alles nicht zusammen.
Bereits vor sieben Jahren ist die GDL trotz eines erbitterten Arbeitskampfs mit ihrem Vorhaben gescheitert, außer den Lokführern auch die anderen Gruppen des Fahrpersonals tariflich zu vertreten. Was macht Sie so zuversichtlich, das diesmal durchsetzen zu können?
Die Voraussetzungen haben sich grundlegend geändert. Ein Tarifvertrag nur für unsere Mitglieder unter den Zugbegleitern und Bordgastronomen war damals rechtlich noch nicht möglich. Das hat sich durch das Urteil des Bundesarbeitsgerichtes 2010 geändert. Jetzt ist auch Tarifpluralität in einem Unternehmen und einer Berufsgruppe zulässig. Außerdem haben wir seitdem auch etliche neue Kollegen des Fahrpersonals organisieren können. Wir haben den Auftrag, für unsere Mitglieder anständige Löhne und Arbeitsbedingungen durchzusetzen. Das hat mit den Tarifverträgen der anderen Gewerkschaft bei der Bahn nichts zu tun.
Wenn die andere Seite nicht einmal zu Verhandlungen bereit ist, bleiben eigentlich nur noch unbefristeter Erzwingungsstreik oder Schlichtung. Sind Sie auf beides vorbereitet?
Solange das Unternehmen Verhandlungen verweigert, sehe ich für eine Schlichtung keine Voraussetzungen. Falls die Bahn und natürlich auch ihr Eigentümer, der Bund, bei ihrer Verweigerungshaltung bleiben, haben wir noch diverse Möglichkeiten, den Druck zu erhöhen und dem Unternehmen wirtschaftlichen Schaden zuzufügen.
Die Bahn und die konkurrierende DGB-Gewerkschaft setzen auf ein geplantes Gesetz, das Streiks von Berufsgewerkschaften künftig unterbinden würde. Ist das jetzt die letzte Chance für die GDL, einen tariflichen Pflock einzuschlagen?
Das hat damit nichts zu tun. Im Sommer sind unsere Tarifverträge bei der Bahn ausgelaufen, damit unterliegen wir nicht mehr der Friedenspflicht. Natürlich hofft die Bahn auf eine Tarifeinheit zu ihren Bedingungen; entweder durch eine Unterwerfung der GDL oder durch ein Gesetz. Aber die aktuelle Tarifauseinandersetzung findet auf dem Boden des geltenden Rechts statt.
Ihnen wird vorgeworfen, „Bahnkunden als Geiseln zu nehmen“, um die Macht ihrer kleinen Gewerkschaft auszubauen. Jetzt haben Sie die Gelegenheit, darauf eine passende Antwort zu geben.
Ich lasse mich nicht dazu verführen, mit ähnlicher Wortwahl auf so etwas zu reagieren. Ich möchte nur darauf hinweisen, dass das Bahn-Management die Auswirkungen des aktuellen Streiks durch weit vorgezogene Verkehrseinstellungen nahezu verdreifacht, um auf diese Weise die Fahrgäste gegen die GDL aufzubringen. Ich überlasse es gerne jedem Bürger, dieses Verhalten zu bewerten und dafür Bezeichnungen zu finden.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Comeback der Linkspartei
„Bist du Jan van Aken?“
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Nach Taten in München und Aschaffenburg
Sicherheit, aber menschlich
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen
Geiselübergabe in Gaza
Gruseliges Spektakel