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GAU beim Tunnelbau

Das Paradeprojekt Tiergartentunnel in Berlin wurde gestern geflutet, weil eine Betonwand gebrochen ist. Jetzt steht das ganze Verkehrssystem in Frage  ■ Aus Berlin Hannes Koch

Berlin (taz) – Die Straße ist über Nacht vom Wasser weggerissen worden. Asphaltfetzen hängen in dem metertiefen Graben, der sich um die Baustelle unweit des Potsdamer Platzes in Berlin zieht. Die Erde an den Rändern des Grabens zeigt Höhlungen und Ausspülungen, die an reißende Gebirgsbäche erinnern.

GAU am Bau: In der Nacht zum Donnerstag ist unter dem Druck des Grundwassers eine Betonwand des zukünftigen Eisenbahntunnels unter dem Tiergarten gebrochen. Unterirdische Wassermassen strömten in den Tunnel und rissen gigantische Mengen Schlamm und Sand mit sich. Dadurch wurde die Baustraße unterspült und stürzte ein. Den Bauarbeiten droht eine möglicherweise monatelange Verzögerung – auch die Inbetriebnahme des gesamten neuen Berliner Bahnsystems unter Potsdamer Platz und Regierungsviertel inklusive des zukünftigen Hauptbahnhofs könnte sich über das Jahr 2004 hinaus verschieben. „Wir können jetzt erst mal in Urlaub gehen“, sagt der Vorarbeiter einer Spezialfirma aus dem Schwarzwald.

Gestern vormittag standen acht Feuerwehrwagen am nahen Landwehrkanal. Die Straße gegenüber dem fast fertigen Hochhaus von Daimler-Benz ist von der Polizei gesperrt. Durch Dutzende von armdicken Schläuchen wird Kanalwasser zur Unfallstelle gepumpt. Die Leitungen enden in einer Öffnung der ebenerdigen Betondecke des unterirdischen Tunnelstücks: In endlosen Kaskaden ergießt sich das Kanalwasser in die Tiefe. Denn die Feuerwehr muß den Betonkasten fluten – damit das von außen nachdrängende Grundwasser mit seiner ungeheuren Kraft nicht weitere Löcher in die Wände reißt.

Ratlos stehen überall Ingenieure und Bauarbeiter mit ihren roten, blauen und weißen Helmen herum. Sie blicken hinab in die 23 Meter tiefe Betonhalle, die schon zur Hälfte mit Wasser gefüllt ist. „Jetzt bist du erst zwei Tage hier – und hast sofort was kaputtgemacht“, scherzt ein Arbeiter mit dem anderen. Über die genauen Ursachen des Unfalls können sie nur spekulieren. Von der „Projektgesellschaft Knoten Berlin“ der Deutschen Bahn AG waren zunächst ebenfalls kaum Informationen zu bekommen. Eine eilig angesetzte Pressekonferenz wurde genauso eilig abgesagt.

„Wir haben in der Stirnseite des Tunnels ein kleines Loch angebracht“, berichtet ein Arbeiter. Die Öffnung sollte als Vorbereitung dienen, um eine Betonscheibe – neun Meter im Durchmesser – zu entfernen und später die riesige Bohrmaschine anzusetzen, die von dem unterirdischen Tunnelstück aus die Bahnröhren weiter zum Potsdamer Platz graben soll. Obwohl hinter der Stirnseite bereits eine zweite Betonwand zur Sicherheit niedergebracht worden war, drang Grundwasser durch das Loch. Eventuell hatte es sich im Raum zwischen den beiden nahezu meterdicken Wänden gesammelt. Durch den entstehenden Sog brach wahrscheinlich die äußere Sicherheitswand: Das eindringende Wasser sprengte das zunächst kleine Loch immer weiter auf, bis kein Halten mehr war. Um weitere Zerstörungen zu verhindern, mußte man den Tunnel fluten. Das Wasser im Innern gleicht nun den äußeren Druck des Grundwassers aus.

Die Tunnelbauerei am Landwehrkanal ist das Prestigeprojekt der neuen Hauptstadt. Die Bahn AG wählte ein besonders kompliziertes Verfahren. Die Baugrube wird nicht einfach ausgehoben, in offener Bauweise fertiggestellt und schließlich mit einem Deckel versehen. Statt dessen bedient sich der Baukonzern Hochtief des aufsehenerregenden Verfahrens der „Senkkästen“. Sechs hintereinanderliegende Betonhallen – jeweils 60 Meter breit und 37 Meter lang – werden überirdisch gebaut. Jeden der über 20.000 Tonnen schweren Kästen, die später zusammen die schräge Einfahrt in den Tiergartentunnel bilden sollen, versenken die Bautrupps im feuchten Untergrund, indem sie aus dem Hohlraum unter den Hallen den Sand absaugen. Das Tunnelsegment, das jetzt geflutet wurde, hatte als erstes seine endgültige Position in 26 Meter Tiefe erreicht.

„Das Verfahren ist seit dem Altertum bekannt“, erklärt die Bahn bei jeder Gelegenheit. Und Bahn- Bauleiter Hany Azer, bekannt unter dem Ehrentitel „die ägyptische Wühlmaus“, zeigt gerne am Modell, wie einfach und genial die Idee sei. BesucherInnen präsentiert er die Glaskanne einer Kaffeemaschine, stülpt umgekehrt ein leeres Glas hinein und freut sich: Das Wasser dringt nicht in den mit Luft gefüllten Hohlraum. Jetzt machte die Natur den Technikern einen Strich durch die Rechnung.

Manche Arbeiter befürchten, daß der Unfall weitere Kreise ziehen könnte. „Das Wasser im Tunnel wiegt ja Tausende von Tonnen und könnte den Kasten weiter in die Erde drücken“, meint einer. Kommt es so, stimmt der Anschluß zum nächsten Tunnelsegment nicht mehr – und eine Methode, die Betonhalle zu heben, gibt es bislang nicht. Michael Cramer, Verkehrsexperte der Berliner Grünen, hält es nicht für unwahrscheinlich, daß die Bahn den Bau quasi von vorn beginnen kann. Die Arbeiter von der Bohrmaschinenfirma stellen sich in jedem Fall auf eine längere Ruhepause ein: „Bis es weitergeht, vergehen zwei Wochen – oder auch zwei Monate.“

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