GASTKOMMENTAR: Existenzängste
■ Die Ausweitung der Nato bedeutet ihr Ende
Wenn der Nato-Generalsekretär aus Moskau zurückgekehrt ist, sind seine Zukunftssorgen nicht kleiner. Ganz im Gegenteil: Die gute Nachricht für die Sicherheit in Europa, daß am 10.März 92 die GUS-Staaten dem Nordatlantischen Kooperationsrat beitreten werden, ist nämlich gleichzeitig die schlechte Nachricht für die Nato.
Die Übergangsformel vom Rom-Gipfel im November 1991, die wenigstens mittelfristig die Überlebensängste der westlichen Militärallianz vertreiben sollte, droht jetzt an ihrem inneren Widerspruch zu zerbrechen. Die Sicherheitspolitik des Bündnisses, hieß es da noch, müsse sich auf drei Elemente gründen. Dialog, Kooperation und die Fähigkeit zur gemeinsamen Verteidigung. Aber die „militärische Dimension“ bleibe der entscheidende Faktor der Nato. Mit diesem Grundsatz bleibt die Zweiteilung der europäischen Welt geradezu die unverzichtbare Geschäftsgrundlage für die Nato-Sicherheitspolitik: Die Nato müsse auch künftig die „strategische Balance“ in Europa erhalten. Aber gegenüber welchem Gegengewicht, wenn es die GUS-Streitmacht nicht mehr oder doch nicht mehr richtig sein kann?
Vor wenigen Wochen bezeichnete es der Generalinspekteur der Bundeswehr, Klaus Naumann, als sicherheitspolitische Langzeitaufgabe von „globaler Dimension“, jetzt die GUS, vor allem aber Rußland in eine Sicherheitsarchitektur in Europa einzubinden, die eine Rückkehr zur Konfrontation ausschließt. Dies sei nur im engen Schulterschluß mit den USA und nur gestützt auf die Fähigkeit zu bewältigen, die im Osten existierende Militärmacht jederzeit durch die westliche Verteidigungsfähigkeit ausbalancieren zu können. Diesen Prozeß könne nur die Nato schaffen.
Also die GUS „einbinden“ und gleichzeitig „ausbalancieren“? Die Existenzangst der Generäle treibt schon seltsame Blüten. Wörner und Naumann verstricken sich in immer offensichtlichere Widersprüche, weil die Nato-Militärs ohne eine adäquate östliche Gegenmacht keinen glaubhaften Auftrag mehr haben und deshalb so lange am Popanz „Sowjetbedrohung“ glauben festhalten zu müssen, bis ein neues gesichertes, das heißt von den Gesellschaften der Nato-Staaten angenommenes Feindbild aufgebaut ist. Mit ihrer stürmischen Umarmung machen die ehemaligen Gegner der Nato einen Strich durch diese Rechnung.
Nach dem 10.März 1992 wird schließlich das Kernstück der „Raison d'être“ der Nato, nämlich die Sowjetunion aus Westeuropa herauszuhalten, weggebrochen sein. Und weit und breit ist kein „Ersatzfeind“ in Sicht. Elmar Schmähling
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