piwik no script img

G20-Gipfel in Rio de JaneiroDer Wind hat sich gedreht

Das Thema Ukraine steht beim G20-Gipfel nicht als Punkt auf der Tagesordnung. Bundeskanzler Scholz telefoniert nach zwei Jahren erstmals wieder mit Putin.

Armut im Fokus: Die leeren Teller am Strand in Rio repräsentieren die 733 Millionen Menschen, die weltweit an Hunger leiden Foto: Pilar Olivares/rtr

Das jährliche Treffen der 20 führenden Industrie- und Schwellenländer, das am Montag im brasilianischen Rio de Janeiro beginnt, fällt in eine Art Übergangszeit. Für die USA reist Noch-Präsident Joe Biden an, sein Nachfolger Donald Trump wird erst am 20. Januar ins Amt eingeführt. Gastgeber Brasilien hat den Kampf gegen Hunger und Armut zum Schwerpunkt seiner Präsidentschaft gemacht. Mit dem Machtwechsel im Weißen Haus wird sich die Marschrichtung bei vielen wichtigen Themen wohl ändern. Das könnte auch für den dann 1.000 Tage währenden Krieg in der Ukraine gelten. Das Land könnte zwischen alle Stühle fallen. Unklar ist, wie lange die USA als wichtigster militärischer Unterstützer ihre Hilfe aufrechterhalten werden. Trump hatte angekündigt, den Krieg rasch zu beenden, zu welchen Konditionen, bleibt die spannende Frage.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj ist erst gar nicht eingeladen nach Rio, beim letzten Gipfel in Delhi war er immerhin noch zugeschaltet. Aber Brasiliens Präsident Lula da Silva hatte ausdrücklich eine Einladung an Wladimir Putin ausgesprochen – der aber doch nicht selbst kommt, sondern seinen Außenminister schickt. Auch das Thema Ukraine steht nicht explizit als Punkt auf der Tagesordnung. Aus dem Kanzleramt heißt es, dass es trotzdem angesprochen werden müsse. In den Gesprächen, die Olaf Scholz am Rande des Gipfels führe, werde der russische Angriffskrieg eine wichtige Rolle spielen. Scholz wird unter anderem den chinesischen Präsidenten Xi Jinping und die Ministerpräsidenten Vietnams und Singapurs treffen.

Ob es das Thema Ukraine in die Abschlusserklärung schafft, ist jedoch ebenfalls unklar. Als sich die G20-Staaten vor zwei Jahren im indonesischen Bali trafen, verurteilte die Mehrheit den Krieg in der Abschluss­erklärung noch aufs Schärfste. Der Bundeskanzler feierte das damals auch als seinen Erfolg. „Der russische Präsident steht mit seiner Politik in der Welt fast alleine da. Er hat keine starken Bündnispartner“, stellte Scholz nach Ende des G20-Gipfels fest.

Nun hat sich der Wind gedreht. Die Themen Ukraine, aber auch Nahost seien in der Vorbereitung des Gipfels die am heftigsten umstrittenen gewesen, so Vertraute des Kanzlers. Man werde sehen, wie weit man damit im Kommuniqué komme. Und man hängt die Erwartungen schon jetzt tief. Der Erfolg des Gipfels sollte nicht daran bemessen werden, „welche Adjektive man jetzt noch in das Kommuniqué hineingezwängt kriegt“. Es werde auch ein Erfolg in Rio sein, wenn sich eine Reihe von großen G20-Mitgliedern klar äußere und das Thema anspreche. Im Klartext: Die Ukraine muss froh sein, wenn man überhaupt noch über sie spricht.

Seine Ansichten zum Krieg haben sich nicht geändert

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) über Putin

Dort ist man gerade aber auch nicht so gut auf Deutschland zu sprechen. Scholz hatte am Freitag das erste Mal seit zwei Jahren wieder mit Putin telefoniert und diesen aufgefordert, den Krieg zu beenden. Aus Kyjiw kam scharfe Kritik. „Das Gespräch war sehr ausführlich, hat aber auch zu der Erkenntnis beigetragen, dass sich bei dem russischen Präsidenten an seinen Ansichten zu diesem Krieg nicht viel geändert hat, was keine gute Nachricht ist“, sagte Scholz im Nachgang. Das Gespräch sei auch mit Blick auf diejenigen wichtig gewesen, die meinten, der Konflikt könne einfach beigelegt werden. „Aber der kann ja nur beendet werden, wenn der russische Präsident auch bereit ist, von seinen imperialistischen Zielen abzulassen“, betonte er.

Ob Scholz selbst noch mal zum G20-Gipfel kommt, ist zurzeit eher unwahrscheinlich. Auch in der SPD herrschen zum Teil offen formulierte Zweifel, ob die SPD mit Scholz als Kanzlerkandidat die Wahl gewinnen kann. Darauf angesprochen, meinte der Kanzler nur: „Die SPD und ich sind bereit, in diese Auseinandersetzung zu ziehen mit dem Ziel, diese zu gewinnen.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
  • Der Krieg ist im dritten Jahr, die völlig perspektivlose Vernichtung von Menschenleben, Infrastruktur und Geld kann so nicht weitergehen. Der Krieg wird militärisch von keiner Seite dauerhaft gewonnen werden, es muss also zumindest zum Waffenstillstand kommen. Die von Rußland eroberten Gebiete werden zumindest vorerst nicht zurückgegeben werden, zumindest in der Ostukraine wird das aber eines Tages nach Putin wieder Thema werden.

    • @Bambus05:

      Liest sich erstmal ganz pragmatisch und realistisch, wer wollte nicht, dass das Töten und Sterben endet...



      Bei genauerem Hinsehen ist das Kalkül aber schon zynisch, über die Köpfe der Betroffenen hinweg fremdes Territorium zu verticken, um selbst Ruhe und/oder ein gutes Gewissen zu haben...



      Hr. Putin hätte somit schon mal ein paar Kriegszwischenziele erreicht: a) Ukraine entscheidend geschwächt, b) Nato aus der Ukraine rausgehalten, c) selbst freie Hand für neues Zündeln.



      Glaubt jemand ernsthaft, Hr. Putin hört auf, wenn der Krieg in der Ukraine "eingefroren" ist?



      Die Frage wäre: Wo provoziert er neues Elend als nächstes? Moldavien? Serbien (um den Krieg ins Herz Europas zu tragen? Baltikum (um den "Bündnisfall" zu testen, gerade auch mit Blick auf USA unter Trump)?



      Der "Westen" sollte alles, was Hr. Putin sagt, wörtlich nehmen. Und sich darauf vorbereiten.

      • @Vigoleis:

        Den Vorwurf des Zynismus weise ich zurück. Wenn die Menschen weiterkämpfen wollen sollen sie das tun. Nur: wo ist die Perspektive? Wenn Sie eine andere, bessere Lösung wissen, nur her damit. Ob die dann lautet: zehn Jahre weiterkämpfen, bis sich beide Seiten ruiniert, Hunderttausende tot sind und sich große Teile des Landes in eine Mondlandschaft verwandelt haben? Hat auch etwas zynisches.



        Womit Sie recht haben: Europa hat die USA nicht mehr als verlässlichen Partner, muss selbst verteidigungsfähig sein.

      • @Vigoleis:

        ...und der " Westen " sollte sich nochmals die Geschichte, sowie politischen Entwicklungen, seit den 90er Jahren, in der Ukraine vergegenwärtigen.