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G20-Ermittlungen gegen Po­li­zis­tenKeine Heilung für Hamburgs Justiz

Kommentar von Benno Schirrmeister

Die Botschaft der Staatsanwaltschaft bleibt: In Hamburg dürfen Polizisten Beine brechen, ohne dass etwas passiert. Hauptsache, sie tun es gemeinsam.

Aufnahmen von Polizeibrutalität bei den G20-Demos 2017 gibt's en masse Foto: Miguel Ferraz

F atal war das Zeichen, dass Hamburgs Staatsanwaltschaft ausgesandt hatte: Kein einziger Polizist, so schien es Anfang Dezember, der an den G20-Krawallen in Erfüllung seiner beruflichen Pflicht teilgenommen hatte, sollte dafür zur Rechenschaft gezogen werden, dass dabei mehrfach die Polizeigewalt ins Illegale gekippt war. Dabei waren Fälle darunter, bei denen sie erkennbar jedes Maß und jede Mitte verloren hatte.

Es schien, als hätte die Strafverfolgungsbehörde nur das Anliegen verfolgt, Bürgermeister Olaf Scholz’ absurde und falsche Behauptung, es hätte rund um den Gipfel keine Polizei-Gewalt gegeben – schließlich hat Polizei ja doch den Auftrag Gewalt auszuüben! – zu einer Wahrheit umzubiegen.

Ein Debakel für den Rechtsstaat, denn: dessen Qualität zeigt sich weniger darin, wie er normale Straftaten verfolgt. Das bekommt jede Diktatur hin. Gut ist nur der Staat, der dies mit rechtsstaatlichen Mitteln tut. Folglich muss er diejenigen, die seine Ordnung mit Gewalt aufrecht erhalten sollen, es aber falsch, brutal oder gar mit Sadismus tun, zuverlässig aus dem Verkehr ziehen. Das geht nur mit einer Strafjustiz, die sich dem Korpsgeist und der Omertà der Truppe entgegenstellt.

Heißt: Für die per se gemeinsam begangenen Polizeigewalt-Delikte müsste, wie bei Bandenkriminalität üblich, das Prinzip der individuellen Schuldzumessung flexibler gehandhabt werden. Wenn drei Po­li­zis­t*in­nen zusammen einer Demonstrierenden das Bein brechen, dann ist nur derjenige von ihnen Nichttäter, der versucht, diesen Gewaltexzess zu verhindern – oder wenigstens denjenigen anzeigt, der ihn ausübt. Wer hier schweigt, ist Mittäter. Für jeden anderen Schlägertrupp würde das gelten.

Verbliebene Verdächtige als Sündenböcke

Zwar hatte die Generalstaatsanwaltschaft angeordnet, sechs eingestellte Verfahren wieder aufleben zu lassen, um eine „unvermindert kritische Berichterstattung“ zu beschwichtigen. Drei sind endgültig eingestellt, in einem Fall wird jetzt doch Anklage gegen Polizisten erhoben. Aber das heilt gar nichts, solange die krassen Taten ungesühnt bleiben.

Zugleich setzt es die drei noch offenen Ermittlungen unter einen unguten Erfolgsdruck: Die verbliebenen Verdächtigen haben allen Anlass, sich als Sündenböcke für die Davongekommenen zu fühlen. Dieses Dilemma hat sich Hamburgs Justiz im Laufe von sechs Jahren selbst konstruiert. Mit jeder Bewegung fügt sie sich mehr Schaden zu. Die G20-Aufarbeitung wird in der Geschichte immer ein warnendes Beispiel bleiben.

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Reporter und Redakteur
Jahrgang 1972. Seit 2002 bei taz.nord in Bremen als Fachkraft für Agrar, Oper und Abseitiges tätig. Alexander-Rhomberg-Preis 2002.
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