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Fußgänger-VerkehrEmanzipation aufm Fußweg

Die Grünen wollen Bremen fußgängerfreundlicher machen und dafür den grünen Pfeil abschaffen, Gehwege entrümpeln und sie von Radlern befreien

Mancher Gehweg endet abrupt. Bild: Jan Zier

Manche Ecken in Bremen umgeht man besser als Fußgänger. Vor allem als Blinder. Zum Beispiel die Sögestraße, an den Schweinen, dort, wo die Fußgängerzone endet, der Radweg kreuzt, der im Nichts aufhört, von links und rechts die Autos kommen. „Ich meide diese Ecke“, sagt Joachim Steinbrück, der blinde Landesbehindertenbeauftragte. Ähnlich ist es an der Domsheide, wo sich, dicht an dicht, Autos und Busse und Straßenbahnen und RadfahrerInnen und FußgängerInnen begegnen. Und morgens noch die Laster stehen, die be- und entladen. Steinbrück hat sich dort schon mal am Kehlkopf verletzt, an einer Laderampe, auf dem Fußweg. Wie er all das ertrage, werde er immer wieder gefragt, sagt Steinbrück. „Mit Gleichmut“, antworte er dann.

„Der Fußverkehr hat kaum eine Lobby und wird bei Politik und Planung nicht immer als relevante Verkehrsart wahrgenommen“, schreiben jetzt die Grünen in der Bürgerschaft, die schon seit 2007 den Bau- und Verkehrssenator stellen. Nun hat die Fraktion einen Forderungskatalog zum Fußverkehr verabschiedet, der sich die „Gleichberechtigung aller Verkehrsarten“ zum „übergeordneten Ziel“ gesetzt hat. Und FußgängerInnen, aber auch Kinder und KinderwagenschieberInnen, RollatorenbenutzerInnen oder Behinderte seien „am weitesten“ von dieser Gleichberechtigung entfernt.

Steinbrück, aber auch die Grünen fordern eine „Entflechtung“ von Fuß- und Radwegen – deren gemeinsame Führung sei „zu vermeiden“, heißt es im dem Papier der Grünen. Im Gustav-Deetjen-Tunnel am Hauptbahnhof etwa gibt es nur einen äußerst schmalen Weg für Radler und Fußläufige. „Das ist ein Angstraum“, sagt Ralph Saxe, grüner Verkehrspolitiker.

Auch den „grünen Pfeil“ stellen die Grünen infrage. Aus Fußgängersicht sei er „absolut entbehrlich“, weil er „immer wieder“ zu Konflikten mit Radlern und Autos führe, sagt Saxe. „Das ist ein Relikt aus der DDR-Zeit, das in der Stadt nicht zu suchen hat“, sagt Angelika Schlansky, Stadtplanerin und Sprecherin des Fachverbandes Fußverkehr (Fuss). In Bremen hat ihre Organisation nicht mal ein Dutzend Mitglieder, die Fahrradlobby ADFC aber über 3.000.

Fuss, Steinbrück und die Grünen wollen auch die Gehwege „entrümpeln“. Sie „müssen von zusätzlichen Einbauten wie Schaltkästen, Schildermasten und Werbetafeln weitgehend freigehalten werden“, schreiben die Grünen. Und parkende Autos gehörten – „auch in Ausnahmefällen“ – nicht in diesen Verkehrsraum. Im Viertel etwa, wo auch Steinbrück seit über 30 Jahren wohnt, sei vielerorts „alles zugestellt“, vor allem mit Schildern, die noch dazu über die Jahre immer größer würden. Diese Tafeln will er am liebsten „ganz verbannen“.

Auch die Ampelschaltungen wollen die Grünen fußgängerfreundlicher machen, zudem Hauptverkehrsstraßen besser überquerbar machen, Tempolimits einführen oder Kreuzungen nach japanischem Vorbild auch diagonal überquerbar machen. Saxe geht allerdings von einem „sehr langen Prozess“ aus. Auch Schlansky setzt auf eine „langfristige“ Entwicklung, „Es gab Zeiten, da hat man sich in Deutschland lächerlich gemacht mit dem Einsatz für Fußgänger“, sagt Schlansky. In Kopenhagen beispielsweise seien 40 Jahre vergangen, ehe die Stadt so vorbildlich wurde wie heute.

Die Grünen im Parlament fordern nun von der eigenen rot-grünen Regierung, im Haushalt Mittel zur Förderung des Fußverkehrs auszuweisen. Über deren Höhe sagen sie aber nichts. Er habe aber nicht wahrnehmen können, dass es im grünen Ressort Widerstände gegen das grüne Positionspapier gab, sagt Saxe. „Es greift ein wichtiges Thema auf und kommt zum richtigen Zeitpunkt“, heißt es denn auch aus der Behörde. „Es leistet einen willkommenen Beitrag in der gerade begonnenen Debatte über den Verkehrsentwicklungsplan.“ Der aber soll im Konsens verabschiedet werden.

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