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Fußballclub Union Berlin„Freundliche Männer werden Krieger“

Autor Christoph Biermann durfte eine Spielzeit lang ganz nah ran: Für sein Buch hat er den 1. FC Union Berlin als Teil des Teams begleitet.

Zweikampf im Spiel 1. FC Union Berlin gegen FSV Mainz Anfang Oktober Foto: Andreas Gora/dpa
Interview von Gunnar Leue

taz: Herr Biermann, Ihr Buch erinnert ein wenig an die Wahlkampfbegleitung des SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz 2016 durch Spiegel-Autor Markus Feldenkirchen. Hinterher waren alle der Meinung: Ein Coup für den Autor, aber Schulz hatte sie wohl nicht alle, sein Scheitern so offen dokumentieren zu lassen. Im Falle eines Abstiegs hätte Union auch ziemlich dumm dastehen können, oder?

Christoph Biermann: Das ist hypothetisch. Union hat den Klassenerhalt geschafft, und man muss sagen, dass das eine außergewöhnliche Leistung ist. Der wirtschaftliche Faktor im Fußball ist letztlich doch entscheidend und Union hatte nach Paderborn den zweitniedrigsten Personaletat der Liga. Als Tabellenelfter haben sie sechs Vereine mit größeren Möglichkeiten hinter sich gelassen. Das ist eine große Leistung von allen: Spielern, Trainerteam, Sportdirektor, Vereinsführung. Ich wollte beschreiben, wie das möglich wurde: vor allem durch einen außergewöhnlich guten Trainer und eine Mannschaft, die es schaffte, immer Mannschaft zu bleiben, was mit so vielen Spielern nicht einfach war.

Sie sind quasi ins Team aufgenommen worden, mussten sogar ebenso wie neue Spieler vor der Mannschaft singen. Zugleich blieben Sie der professionelle Beobachter. Fiel es Ihnen schwer, die nötige Distanz zu halten?

Nein. Da ich viel mit ihnen zu tun hatte, habe ich mir zwar ziemlich bald gewünscht, dass sie erfolgreich sind, und ich habe auch mitgejubelt, wenn sie gewonnen haben. Aber ich blieb der Beobachter. Ich wollte ja nicht meine Emotionen beschreiben, sondern verstehen, was da passiert. Die Nähe sollte mir helfen, das Funktionieren und die Atmosphäre einer Fußballmannschaft zu begreifen.

Es ging Ihnen um das Exemplarische einer Profimannschaft?

Ja, unbedingt. Viel von dem, was ich bei Union beobachtet habe, hätte ich sicher ähnlich auch bei Mannschaften wie Hertha oder Arminia Bielefeld beobachten können, weil die Mechanismen des Berufsfußballs austauschbar sind. Deshalb ist ein guter Teil dieses Buches exemplarisch für den Berufsfußball in den zwanziger Jahren des 21. Jahrhunderts.

Welche Beobachtung hat Sie als erfahrener Fußballreporter überrascht?

Mir war vorher gar nicht so klar, wie gut es den Spielern tut, wenn sie nach Spielen nicht ausgepfiffen werden. Das ist ja eine Union-Tradition. Viele in der Mannschaft hatten das anderswo auch anders erlebt, diese Sprüche: Scheißmillionäre, wir wollen euch kämpfen sehen, wir sind XY und ihr nicht! Die von den Unionfans gepflegte Besonderheit gibt es in Deutschland nur bei wenigen Vereinen. Das ist auch etwas, woraus eine Kraft erwächst. Die meisten Spieler wissen doch selbst, wenn sie einen schlechten Tag haben. Dann nicht vom Publikum niedergemacht zu werden, scheint ihnen schon wichtig.

Sie beschreiben diese Sensibilität und verwenden zugleich für den Fußballer den Begriff Krieger, was etwas überrascht, wenn man Ihre sonstigen Aufsätze über Fußball kennt.

Ich war auch überrascht, weil ich den Begriff eigentlich für komplett abgedroschen hielt. Aber er kam mir doch in den Sinn in den Momenten, als die Spieler auf den Platz rausgingen und ich sie da abgeklatscht habe. In dem Moment habe ich eine Verwandlung von freundlichen jungen Männern in Krieger erlebt, die in eine sportliche Schlacht ziehen. Plötzlich lag eine Intensität in der Luft, die man sich zwar irgendwie vorstellen kann, aber wenn man hautnah erlebt, wie machtvoll die ist – das fand ich schon beeindruckend.

Im Interview: Christoph Biermann

59, in Herne aufgewachsen, schreibt seit vielen Jahren über Fußball, u. a. für 11 Freunde und als Buchautor. Für „Wir werden ewig leben“ (KiWi) durfte er den 1. FC Union durch dessen erste Bundesligasaison begleiten. Das änderte nichts an seiner ersten Fußballliebe VfL Bochum.

Wie schwer war es, Unions Vereins- und sportliche Führung von Ihrer Idee zu überzeugen, die Mannschaft eine ganze Saison dicht zu begleiten?

Ich hatte von meiner Idee zuerst Pressesprecher Christian Arbeit erzählt. Als passionierter Leser und Literaturfreund fand er sie gleich gut. Was den Ausschlag gab, dass Präsident Dirk Zingler letztlich auch dafür war, weiß ich nicht genau.

Vielleicht die Aussicht, dass man den Verein in der Öffentlichkeit besser versteht. Union macht oft sein eigenes Ding, was andernorts sowohl mit Sympathie als auch mit Genervtheit betrachtet wird.

Ja, der Verein hat in den letzten Jahren oft sein Ding gemacht und daraus auch einen Teil seiner Kraft gezogen. Union hat ein eigenes Modell gefunden, auf den Fußball zu gucken und ihn als Profisport zu betreiben: mit einer starken Konzentration auf das Stadionerlebnis, in der Form auch deutlicher als bei vielen anderen Klubs. Das ist ja auch der erste Satz des Union-Grundgesetzes: „Unser Stadion­erlebnis ist der Kern unseres Daseins als Unioner.“

Erklärt das die umstrittene Absicht von Vereinspräsident Dirk Zingler, auch unter Coronabedingungen viele Zuschauer ins Stadion zu lassen?

Das ist meiner Ansicht nach eindeutig die Motivation.

Oft ist die Rede von der Union-Familie. Haben Sie die als offen oder relativ geschlossen erlebt?

Wenn man einen Außenstehenden hineinlässt, ist das letztlich ja maximale Offenheit. Ich habe die Leute im Verein nie als verschlossen erlebt.

Nach dem Bundesligaaufstieg hatte Vereinspräsident Zingler gesagt, der Verein wolle sich nicht verändern …

… stimmt, worauf ich ihm sagte: Vergessen Sie’s!

Hatten Sie recht?

Es hat sich ganz viel verändert, allein durch die größere Aufmerksamkeit für den Klub, der sich nun nicht mehr so nett dahinten in Köpenick versteckt halten kann. Ich finde jedoch, dass er im Kern unverändert geblieben ist.

Wie sehr hängt das damit zusammen, dass das Jahr sportlich erfolgreich war?

Es hat sicher eine Rolle gespielt. Aber ich glaube, dass sich selbst im Falle eines Abstiegs wenig verändert hätte. Ich weiß nicht, was strukturell groß hätte anders werden können.

Abgesehen vom Derby spielt Lokalrivale Hertha BSC im Buch keine besondere Rolle. Für den Verein offenbar auch nicht, aber man erfährt, dass sich Union-Präsident Zingler und Hertha-Präsident Gegenbauer offenbar schätzen?

So hat es mir Zingler jedenfalls gesagt. Das liegt vielleicht daran, dass sie beide Unternehmer sind.

Dirk Zingler hat nach der Wende ein Bauunternehmen gegründet und diese Erfahrung scheint auch seine Art der Vereinsführung zu prägen. Zitat: „Wir sind keine Erben, wir sind die erste Generation. Wir mussten uns das alles selbst erarbeiten, deshalb gehen wir auch sorgsamer damit um.“

Genau. Fußballvereine sind ja Unternehmen auf eine ganz spezielle Art. Zingler und seine Mitstreiter haben es geschafft, Union in eine neue Zeit zu führen. Dass der Verein seine eher von Niederlagen und Pleiten geprägte Geschichte in den letzten 15 Jahren in eine positive Geschichte verwandeln konnte, ist schon sehr bemerkenswert. Für mich ist Union auch eine große Ost-West-Geschichte.

Wie viel Ostigkeit steckt heute noch in Union?

Als ich mir die Vereinsführung anguckte, fiel mir auf, wie sehr Union da ein ostdeutscher Klub ist. Die meisten, die was zu sagen haben, besitzen Ex-DDR-Biografien. Es hat sich in ihre Lebensgeschichte eingeschrieben, dass sie sich nach der Wende beruflich neu orientieren mussten. Viele sind Unternehmer geworden und beruflich erfolgreich. Im Grunde betreiben sie Union wie ein besonderes Ostunternehmen. Das spüren auch die meisten Zuschauer, von denen ein Großteil ähnliche biografische Erfahrungen hat. Dieses Ostige schimmert oft noch durch, darin steckt symbolische Kraft und für viele Menschen eine reale Anziehungskraft.

Stand irgendwann der Abbruch Ihrer teilnehmenden Beobachtung zur Debatte?

Es war verabredet, dass der Verein die Sache jederzeit abbrechen könnte, und nach den ersten Saisonwochen hatte ich tatsächlich Bedenken. Es ging ja ziemlich holprig los und auf den grandiosen Sieg gegen Dortmund folgten drei Niederlagen hintereinander. Vorm Derby gegen Hertha konnte es schon Spitz auf Knopf stehen und dann hätte es passieren können, dass der Klub die Reißleine zieht, weil er zu sehr im Abstiegskampf steckt. Es kam jedoch anders durch die Siege gegen Freiburg und Hertha. Die Stimmung wechselte und irgendwann kam der Punkt, dass ich eher überrascht gewesen wäre, wenn sie mich noch rausgeworfen hätten, selbst wenn es Probleme gegeben hätte.

Dass Sie nun auch noch die erste Geisterspielsaison der Liga aus der Innenansicht eines Vereins beschreiben können, ist Reporterglück, oder?

Ich will einem so großen Unglück wie dieser Pandemie nicht auch noch was Positives abgewinnen wollen. Auch ohne sie war es aber Reporterglück, eine professionelle Fußballmannschaft eine ganze Saison begleiten zu können.

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