piwik no script img

FussballAuf in die Mission Abstiegskampf

Ab Samstag kickt Hertha BSC wieder in der Ersten Bundesliga. Vom Größenwahn vergangener Jahre ist keine Rede mehr, umso mehr von Demut. Doch wie stark ist das Berliner Team wirklich? Fragen und Antworten.

Freudenkuscheln: Herthaner bei der Erfolgspartie gegen Meusselwitz Bild: dapd

Hat der Abstieg genützt?

Definitiv. Der Größenwahn zahlreicher Anhänger, die bei Auswärtsspielen "Kniet nieder, wenn die Hauptstadt kommt" skandierten und das Vereinsimage schädigten, wurde gestutzt. Die Erfahrung - alles ist möglich, auch ein unerwarteter Abstieg - hat Demut gesät, wie das wohl meist zitierte Hertha-Wort der letzten Saison lautet. Auch bei den Verantwortlichen: War bei Hertha in den vergangenen Jahren stets von einem internationalen Wettbewerb die Rede, geht es jetzt um den bloßen Verbleib im Oberhaus. Hertha Trainer Markus Babbel sagt: "Wir müssen uns in der Bundesliga erst mal wieder etablieren."

Wie ist die Stimmung in der Mannschaft?

Gut. Gleich am ersten Tag der Vorbereitung im schweizerischen Solothurn setzte Babbel auf Team-Building. Auf dem Programm standen Eisbaden und Baumstamm-Weitwurf - ideal für den Zusammenhalt. Der wird auch nötig sein. 23 Siege wie in der Zweitligasaison wird Hertha nicht mehr einfahren. Die Frage ist deshalb, wie die Mannschaft mit Druck umgeht. Als das Team in der vergangenen Saison eine Schwächephase hatte, rückte die Mannschaft enger zusammen, boykottierte gar die Presse, als Torwart Mikael Aerts in den Boulevardmedien zum Sündenbock gemacht wurde. Das spricht für den Charakter der Mannschaft.

Wie lief die Vorbereitung?

Das Trainingslager in Solothurn ließ sich Hertha mit der Teilnahme am Schweizer Uhrencup bezahlen. Alle drei Begegnungen mit Schweizer Erstligaclubs endeten mit Niederlagen. Auch der Aufritt von Real Madrid im ausverkauften Olympiastadion war kein Gradmesser. Allerdings zeigten die Berliner zumindest phasenweise, dass sie auch die ganz Großen ärgern können. Das ist gut fürs Selbstvertrauen, wenn es gegen Dortmund oder Bayern geht. Die erste Runde im DFB-Pokal gewann Hertha beim Viertligisten ZFC Meuselwitz souverän.

Wie gut sind die Neuen?

Zunächst einmal sind sie umsonst. Alle Neuen kamen ohne Ablöse in die Hauptstadt. Dabei hat sich Hertha mit den Neuzugängen nicht in der Breite, sondern punktuell verstärkt. Thomas Kraft (Tor, 22) und Andreas Ottl (defensives Mittelfeld, 26) kamen von Bayern München. Beide haben Champions League gespielt, Kraft trainierte schon als Jugendlicher mit Oliver Kahn. Tunay Torun vom HSV (offensives Mittelfeld, 21) verkörpert den Prototyp des Straßenfußballers: Ballsicher, dribbelstark, schnell. An seinem Spiel wird das Publikum Freude haben. Der vom Absteiger Eintracht Frankfurt gekommene Maik Franz (Abwehr, 29) ist dagegen ein typischer Sauhund, bei gegnerischen Angreifern gefürchtet ob seines harten Spiels. Da Hertha nun auf manchen Positionen wie der Sechs mit Ottl, Niemeyer und Lustenberger mehrfach besetzt sind, ist damit zu rechnen, dass Babbel öfter mal rotieren lässt.

Wer sind die Stars?

Der Star ist die Mannschaft. Dem Brasilianer Raffael, der von den Mitkonkurrenten in der letzten Saison als bester Spieler der Zweiten Liga bezeichnet wurde, hat Trainer Markus Babbel gerade erst die Gelbe Karte gezeigt. "Er muss torgefährlicher werden, mehr Vorlagen geben, für die Mannschaft in der Defensive mehr arbeiten", forderte Babbel und warnte: "Ihm muss klar sein: Nur mitlaufen, das reicht mir nicht." Einen Stammplatz sicher hat dagegen der kolumbianische Nationalspieler Adrian Ramos, der in der vergangenen Saison 15 Treffer erzielte. Mit Spannung wird auch das Auftreten von Pierre-Michel Lasogga erwartet. Der Youngster hatte sich zuletzt im Sturm gegen den Zwei-Millionen-Mann Rob Friend durchgesetzt.

Was kann der Trainer?

Das muss er noch zeigen. Auch wenn der Wiederaufstieg kein Selbstläufer war: Er war erwartbar. Mit dem gleichen Kader wie Hertha, äzte mal Cottbus-Trainer Claus-Dieter Wollitz, hätte er mehr Punkte auf dem Konto gehabt als Babbel. Fakt ist: Eine Spielphilosophie, wie sie Vorvorgänger Lucien Favre der Mannschaft überhelfen wollte, hat der Ex-Bayern-Profi bislang nicht. Spannend wird sein, ob Babbel Autorität genug hat, Stars und Führtungsspielern wie Raffael oder André Mijatovic das Dasein auf der Bank schmackhaft zu machen. Übrigens wurde Babbels Vertrag nicht vorzeitig verlängert. Ein kluger Schachzug von Manager Michael Preetz. Läufts so richtig schief, kann in der nächsten Saison jemand anders ran - ganz ohne Abfindung für Babbel.

Wie steht es finanziell?

Unangenehme Frage. Einst hatte Hertha-König, Ex-Manager Dieter Hoeneß, einen Traum: Mit der Meisterschale durchs Brandenburger Tor fahren, bejubelt von drei Millionen Berlinern und dem Rest der Welt. Diesem Traum opferte Hoeneß viel Geld. Das Ergebnis: Hertha sitzt heute auf einem Schuldenberg von 31 Millionen Euro. Hätte der Verein von einem anonymen Spender nicht acht Millionen Euro bekommen, wären die Verbindlichkeiten noch größer. In die Bundesligasaison geht Hertha mit einem Etat von 57,6 Millionen Euro. Zum Vergleich: In der Abstiegssaison hatte der Verein 75 Millionen zur Verfügung. Und in der Zweiten Liga lag der Etat nach jüngsten Berechnungen nicht bei den geplanten 33, sondern bei 45 Millionen Euro.

Wie wird die Stimmung im Stadion?

Von hui bis pfui ist alles möglich. Von 17 Heimspielen in der Zweiten Liga gewannen die Herthaner 12. Die Belohnung: Im Schnitt kamen mehr als 46.000 Zuschauer ins Olympiastadion - absoluter Zweitligarekord. Für den Verein war das enorm wichtig, weil diese Fans nicht wegen Aue oder Bochum kamen, sondern wegen Hertha. Mit Ausnahmen wie gegen Bayern oder Dortmund dürfte das auch in der Ersten Liga so sein. Hertha hat in Berlin also Boden gut gemacht. Allerdings gilt das Berliner Publikum auch als Eventpublikum: Wenn es läuft, ist die Stimmung prächtig, zeigt die Mannschaft Rumpelfußball, wird schnell gepfiffen. Beim Dauerkartenverkauf liegt Hertha mit 19.000 Tickets übrigens im unteren Drittel. Herthas Unterstützung hängt also nicht nur von der Ostkurve ab, sondern auch von der Tagesform des Tagespublikums.

Was halten die Zocker von Hertha?

Erstaunlich viel. Bei den meisten Wettanbietern gehört Hertha nicht zu den Abstiegskandidaten. Vielmehr rangiert der Aufsteiger zwischen Platz 7 und 9. Ganz anders dagegen Mitaufsteiger FC Augsburg. Fast niemand traut den Schwaben den Klassenerhalt zu.

Wer ist der erste Gegner?

Der 1. FC Nürnberg. Da kochen gleich im ersten Heimspiel Emotionen hoch. Schließlich war die unglückliche 1:2-Heimniederlage gegen den Club am 13. März 2010 der gefühlte Abstieg. Nach der Pleite stürmten 150 Fans den Innenraum und zerlegten die Trainerbank von Hertha. Einer von damals wird auch am Samstag nicht zum Freund der Fans: Nach dem Sieg gegen die Berliner reckte Nürnbergs Torwart Raphael Schäfer die Faust gen Ostkurve. Er wird wohl mit Pfeifkonzerten rechnen müssen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!