Fußball: Das Leben als Fan

Am Sonntag haben die Frauen von Turbine Potsdam das erste Heimspiel der Saison. Dagmar, Carolin und Mario Koebe wollen sie zum Sieg schreien: Die Familie zählt zur seltenen Spezies der Fans im Frauenfußball.

Nur noch bis Sonntag ruht der Ball, dann tritt Turbine Potsdam zum ersten Heimspiel der Saison im Babelsberger Karl-Liebknecht-Stadion an. Bild: DAPD

Sie nehmen, was sie kriegen können. Einen verdreckten Stutzen von Stürmerin Genoveva Anomna. Das verschwitzte Trikot von Kapitänin Jennifer Zietz. Oder das Haargummi von Antonia Göransson. Nach dem Abpfiff sammeln sie alles ein, was blau-weiß ist. Für den Turbine-Fankeller. Und wenn das Spiel nicht so gut lief, weinen sie auch mal mit den Spielerinnen. „Wir trauern, wenn wir verloren haben. Klar, wir sind ja Fans.“

Und nicht irgendwelche. Für Dagmar, Mario, und Carolin Koebe gibt es kaum etwas anderes als Turbine Potsdam. Mutter, 50, Vater, 50, und Tochter, 24, begleiten das Frauenfußballteam zu fast jedem Spiel. Nicht selten steigen sie morgens übermüdet aus dem Fanbus und gehen direkt zur Arbeit. Sie fahren mit den Kickerinnen nach Sindelfingen, Lüttich oder London. „Unser ganzes Familienleben und der Jahresurlaub richtet sich nach Turbine“, sagt Mutter Dagmar, die mit ihrem Mann in Wilhelmshorst südlich von Potsdam wohnt. Sie selbst leitet einen Kinderhort in Spandau, ihr Mann ist Kfz-Mechaniker. Turbine ist eine Art Teilzeitjob für sie.

Am Sonntag findet nun das erste Spiel zu Hause, im Karl-Liebknecht-Stadion zu Babelsberg, statt. Dann sind 125 lange Tage vergangen seit dem letzten Liga-Heimspiel, bei dem man mit einem 8:0 über Lok Leipzig die Meisterschaft feierte. Die Koebes hoffen auf weitere Titel – und vor allem auf einen Sieg beim ersten Saisonspiel am Sonntag. „Da spielen wir gegen die Unausgesprochenen“, sagt Dagmar.

Die Unausgesprochenen, das ist der 1. FFC Frankfurt. Der Erzrivale. Gleich im ersten Spiel kommt es zum Gipfeltreffen der beiden besten Frauenteams des Landes. Turbine ist amtierender deutscher Meister, Frankfurt Rekordmeister in der DFB-Bundesliga. Besonders pikant ist die Partie, weil sich etliche Ex-Potsdamerinnen in den Reihen der Hessinnen finden – so auch die frisch gewechselten Nationalspielerinnen Bianca Schmidt und Babett Peter. „Ich ärgere mich unwahrscheinlich, wenn sie dort spielen“, sagt Dagmar. „Aber irgendwie kann man’s auch verstehen, denn es sind junge Leute, die auch Geld verdienen müssen.“ Frankfurt ist in dieser Hinsicht der FC Bayern der Frauen-Bundesliga.

Die Vorbereitungen für das Topspiel sind getroffen. Die Transparente sind gemalt (man will auf den reichen Mäzen der Frankfurter anspielen), im Kofferraum der Koebes stapeln sich Fantrikots, -schals, -mützen. Es war 2005, als die Familie kollektiv zu Turbine-Fans wurde. Damals wussten sie fast gar nichts vom Frauenfußball. „Wir haben in der Zeitung von einem Turbine-Spiel gelesen und dachten, gucken wir uns das mal an“, sagen sie. Seither können sie die Spiele an zwei Händen abzählen, die sie verpasst haben.

Die Spezies Koebe gehört dabei einer seltenen Gattung an. Frauenfußballfanclubs sind im Vergleich zum Männerfußball arg im Hintertreffen. Die beiden besten deutschen Frauenteams führen offiziell nur drei Fanclubs – Potsdam zwei, Frankfurt einen. Zum Vergleich: Bei Bayern und Dortmund sind es zusammen etwa 4.000 Clubs.

Die Zuschauerzahl in der Bundesliga hat sich im Frauenfußball darüber hinaus kaum gesteigert: 1.121 Besucher sahen durchschnittlich ein Spiel in der vergangenen Spielzeit, Turbine führt hier mit im Schnitt 2.500 vor Frankfurt. Zu den Auswärtsfahrten kommen bei der Turbine 30 bis 100 Leute mit.

„Durch die Frauen-WM im eigenen Land ist das Fanaufkommen nicht viel größer geworden“, sagt Dagmar Koebe. „Bei der Turbine ist es wohl mit den Erfolgen etwas mehr geworden.“ Die drei kämpfen und trommeln für das Ansehen der Kickerinnen: „Wir wollen, dass auch im Alltag der Bundesliga die Dominanz des Männerfußballs abnimmt und der Frauenfußball ernster genommen wird.“

Als Fans fühlen sie sich im Frauenfußball ohnehin wohler. „Es ist familiärer“, sagt Mario Koebe. „Man kennt die Verantwortlichen, die Fans kennen sich untereinander, man hat Kontakt zu den Spielerinnen.“ Carolin Koebe, die in Potsdam wohnt und in einem Telekommunikationsunternehmen arbeitet, stimmt zu: „Einen Starkult wie im Männerfußball gibt es hier nicht.“ Ihre Lieblingsspielerin Anja Mittag, jahrelang bei Turbine, schickt ihr persönlich Trikots von ihrem neuen Verein LdB FC Malmö per Post. Ein weiteres Plus sehen die Koebes darin, dass in der Fanszene Gewalt keine Rolle spielt. Mit den meisten Gegnerfans pflegt man einen freundschaftlichen Umgang.

Am Sonntag aber wird es nicht ganz so freundschaftlich zugehen. Sportlich steht Turbine nach den ersten beiden Auswärtsspielen (9:1 in Sindelfingen und 4:0 in Duisburg) hervorragend da. Und das, obwohl es erneut viele Wechsel gab. Elf Spielerinnen gingen: Neben Schmidt und Peter die nicht minder wichtigen Mittelfeldspielerinnen Viola Odebrecht und Isabel Kerschkowski. Acht neue Spielerinnen sind im Kader. Neuzugänge wie die derzeit verletzte Schottin Lisa Evans und die US-Amerikanerin Keelin Winters sollen Abwehr und Mittelfeld Stabilität geben. „Es ist wieder ein harter Umbruch“, sagt Carolin Koebe.

In den letzten Jahren gab es immer wieder eine hohe Fluktuation unter den Topspielerinnen, aber Turbine blieb erfolgreich. Derzeit haben die Koebes wenig Sorge, dass das unter Trainer Bernd Schröder so bleibt. „Er ist ein unbequemer Hund, aber der beste Trainer in Deutschland.“

Wenn die Familie sich vor dem Spiel in volle Fanmontur schmeißt, kann schon mal eine halbe Stunde vergehen. Fankluft überziehen, zig Schals an die Hose binden. Trommeln umhängen, warmsingen, ein leises „Turbine“ anstimmen. Und während des Spiels wird der Koebe’sche Gesang dann zur lautstarken Dauerbeschallung. „Beim Auswärtsspiel in Duisburg hat das Team vom DFB-TV uns gesagt, wir seien zu laut“, sagt Carolin Koebe. „Ey, wir sind hier beim Fußball!“

Neben Turbine gibt es für die Koebes fast nur noch die Arbeit – und die Familie. Carolin Koebe hat einen vierjährigen Sohn, den sie auch schon ab und zu ins Stadion mitnimmt. „Der Samstag gehört meinem Sohn“, sagt sie. „Aber der Sonntag gehört meistens ganz der Turbine.“

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