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Fußball im Dritten ReichDer Historikerstreit is' auf'm Platz

War der DFB fester Bestandteil Nazideutschlands? Oder waren nur einzelne Funktionäre ins NS-System verstrickt? Lesen Sie dieses Buch.

Plakat zum Endspiel von 1939: FC Schalke 04 gegen Admira Wien. Schalke gewann 9:0 (4:0) Bild: ap

Zu dem Gemeinheiten öffentlicher Debatten gehört, dass wer sich ein wenig Zeit nimmt, sich der Sorgfalt verschreibt und andere Argumente erst abwägen möchte, ehe er lostutet, meist zu spät kommt, und ihm gesagt wird, es sei doch schon alles gesagt. Der Fußball im Nationalsozialismus hat eine solche Rezeptionsgeschichte hinter sich. Nach sechzigjährigem Schweigen hatte der Deutsche Fußball-Bund (DFB) vor zwei Jahren mit viel Tamtam die Vorstellung einer Studie des Mainzer Historikers Nils Havemann über die Rolle des Verbandes im Nationalsozialismus unterstützt. Damit waren, was die Geschichtsschreibung angeht, zwar kaum Fragen beantwortet, der Eindruck aber, nun sei aber bald Schluss mit dem ganzen Kram, entstand mehr als deutlich.

Der Sporthistoriker Lorenz Pfeiffer aus Hannover und der Münsteraner Fußballpublizist Dietrich Schulze-Marmeling haben sich trotzdem Zeit gelassen, haben sehr viele kompetente und keinesfalls auf einer Linie liegenden Experten gebeten, die vielen Aspekte des Themas zu bearbeiten, und der Göttinger Werkstatt-Verlag hat den Beiden dafür viel Platz zwischen den Buchdeckeln eingeräumt. Auf über 600 Seiten wird sich dem Thema gewidmet: Es geht um die Nationalmannschaft und ihre Verstärkung durch die "Ostmark", um die Biografien von Nationaltrainern wie Sepp Herberger und Otto Nerz, von DFB-Präsidenten wie Felix Linnemann und Peco Bauwens, um die deutschnationale Geschichte des DFB vor der Machtergreifung, um den Fußball in den annektierten oder beigetretenen Gebieten Böhmen und Mähren, Elsass und Österreich, um die Vereine, die sich fast vollständig freiwillig gleichschalteten, um von den Nazis ermordete Fußballer und es geht um die Betrachtung des Themas seit 1945.

Selbst ein vermeintliches Randthema wie die Feldpostbriefe, die der NS-Reichssportführer an Fußballer im Fronteinsatz schickte, wird sehr erhellend behandelt. Vor allem geht es in diesem Sammelband um das, was man den Fußballhistorikerstreit nennen kann. Statt nämlich die umstrittenen Thesen von Nils Havemann einfach zurückzuweisen, baten die Herausgeber den Kritisierten selbst hinzu, und eröffneten die Debatte: Während Havemann den DFB als einen "unideologischen Massensportverband" begreift, der über das Handeln einzelner Funktionäre ins NS-System "verstrickt" gewesen sei, beharren Kritiker wie der Bonner Publizist Arthur Heinrich oder der Hannoveraner Historiker Hubert Dwertmann darauf, dass der DFB als Verband fester Bestandteil Nazideutschlands war, ja, dass er sogar in nicht geringem Maße vom Terror der Nazis profitierte.

Dwertmann kann das in seiner biografischen Skizze des von 1925 bis 1933 amtierenden DFB-Präsidenten Felix Linnemann, der nach 1933 als Fußballfunktionär in führender Stellung weiter wirkte, eindrücklich zeigen: Der war hauptberuflich Kriminalbeamter und nachweislich an der Erschießung von Roma und Sinti beteiligt. Seine Karriere in der Polizei und im DFB bedingten sich einander. Sie, wie Havemann es tut, als in Hobby und Beruf getrennte Bereiche auseinanderzudividieren, wo Linnemann im DFB unpolitisch und bei der Polizei Befehlsempfänger war, setzt die Weißwäscherei bloß fort. So konkret und doch von so allgemeiner Bedeutung, die noch über den Fußball hinausweist, wird in "Hakenkreuz und rundes Leder" gestritten. Dazu haben sich die Herausgeber angenehm viel Zeit genommen und ließen alle Positionen, die es wert sind, gehört zu werden, auch wirklich zu Wort kommen.

Lorenz Pfeiffer, DietrichSchulze-Marmeling (Hg.): Hakenkreuz und rundes Leder. Fußball imNationalsozialismus, 608 Seiten, Göttingen: Verlag Die Werkstatt, 39,90Euro

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