Fußball-Spektakel in Champions League: Zwischen Wirklichkeit und Traum
In einem tollen Wettstreit der Spielstile kann weder der FC Barcelona noch Inter Mailand gewinnen. Die größte Show bietet der 17-jährige Lamine Yamal.
Es war der finale Pinselstrich eines 3:3 zwischen Barcelona und Inter Mailand, das keine Entscheidung brauchte, weil nächsten Dienstag noch ein Rückspiel folgt. Das geneigte Sportpublikum darf sich schon darauf freuen. Im ersten Akt gab es ein faszinierendes Duell der Stile zu sehen, aber ohne böses Blut, hässliche Aktionen oder Manie, sich mit den Schiedsrichtern anzulegen.
Barça attackierte mit dem „gesegneten Fundamentalismus“ (die Zeitung As) seines Trainers Hansi Flick, also ohne nennenswertes Sicherheitsnetz. Inter verteidigte einerseits, so gut es konnte, erwies sich aber auch als magistral im schnellen Kontern und als imposant beim kreativen Verwerten von Eckbällen zu zwei Treffern.
So ein Fußballspiel erlebt dann das schnellste Tor der Halbfinal-Geschichte, schon nach einer halben Minute durch Inters Marcus Thuram, und zwar nicht irgendwie, sondern mit der Hacke. So ein Spiel ermöglicht einem Außenverteidiger wie Inters Denzel Dumfries mit zwei Toren und einer Torvorlage einen undenkbaren Hattrick. Und in so einem Spiel feiert ein 17-Jähriger seinen bereits 100. Einsatz für Barças Profiteam mit einer Darbietung, die selbst seine Standards sprengt.
Furioses Solo von Yamal
Lamine Yamal also, Barcelonas Rechtsaußen. In Zahlen war er der Spieler, der am öftesten aufs Tor schoss, die meisten Flanken abgab, die meisten Dribblings gewann – sowie, gänzlich ungewöhnlich bei seiner Position, die drittmeisten Ballkontakte hatte. Psychologisch war er der Junge, der dieses Halbfinale offen hielt, als er beim Stand von 0:2 beschloss, dass er jetzt oft genug aufgelegt hatte, dass er es jetzt alleine mit Inters Abwehr aufnehmen musste. Inmitten eines Knäuels von Verteidigern startete er ein furioses Solo zum Anschlusstreffer, und hätte nach seiner nächsten Galaaktion kurz darauf nicht Inter-Torwart Yann Sommer mit den Fingerspitzen den Ball an die Latte gelenkt – nicht vorzustellen, wie dann geredet worden wäre.
Schon so machte Simone Inzaghi keinen Hehl daraus, wie sehr ihn der Teenager beeindruckt hatte: „So ein Phänomen wird nur alle 50 Jahre geboren.“ Der Architekt der taktisch wohl besten Mannschaft Europas gestand auf sympathische Weise seine eigene Perplexität: Beim Videostudium zur Vorbereitung habe er sich das alles etwas machbarer vorgestellt, als es bei seiner ersten Begegnung mit dem Leibhaftigen dann war.
Inzaghi entschuldigte damit sein Team wie sich selbst von der anfänglichen Hilflosigkeit gegen den Orkan Yamal. Nach dem Wechsel nahm der Trainer ein paar Nachbesserungen vor, und Lamine legte mal ein paar ruhige Momente ein. Sowieso war es eines der Spiele, in dem man über Komplimente für die Gegner automatisch auch das eigene Team lobte. Gegen Barcelona, das „offensivstärksten und am schönsten anzuschauende Team Europas“ so mit „Herz und Organisation“ dagegen zu halten – das sei „fantastisch“, so Inzaghi.
In Mailand wird ihm wohl sein Kapitän und Angriffsleader Lautaro Martínez fehlen. Der Argentinier verletzte sich vor der Halbzeit ebenso wie Verteidiger Jules Koundé, kürzlich noch Pokalfinalheld gegen Real Madrid, bei den Katalanen, die derzeit schon auf Goalgetter Robert Lewandowski und Linksverteidiger Alejandro Balde verzichten müssen. Folgen der Strapazen einer langen Saison, in der beide Vereine noch um die nationale Meisterschaft kämpfen. Es dürfte sie nicht davon abhalten, am Dienstag wieder Spektakel bis zum Umfallen zu bieten.
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