Fußball-EM-Qualifikation: Georgiens Spiel des Jahres
Am Sonntag trifft die DFB-Auswahl auf einen Gegner, der hierzulande kaum bekannt ist. Der frühere Bundesligaprofi Lewan Kobiaschwili will das ändern.
TIFLIS taz | Die Initialen L. K. sind in das blaue Hemd gestickt, darüber trägt er ein sportliches Sakko. Lewan Kobiaschwili kommt fünf Minuten früher als abgesprochen. In diesen Tagen muss er durch Tiflis hetzen. „Ich gebe so viele Interviews wie in meiner ganzen Karriere nicht“, sagt Kobiaschwili grinsend. Er hat 16 Jahre in Deutschland Fußball gespielt und kommt auf 351 Einsätze in der Bundesliga für den SC Freiburg, Schalke 04 und Hertha BSC.
Er spricht perfekt Deutsch, was ihn zu einem beliebten Gesprächspartner macht, jetzt, da das „Spiel des Jahres“ für sein Heimatland ansteht. Deutschland trifft am Sonntag (18 Uhr) im Nationalstadion auf Georgien. Es geht um die Qualifikation zur Europameisterschaft, Bundestrainer Joachim Löw geht von einem Pflichtsieg aus.
„Wir können sehr unangenehm sein“, warnt Kobiaschwili. Frankreich habe in Tiflis mal nur 0:0 gespielt, gegen Kroatien sei sogar ein Sieg gelungen. Unter dem neuen Nationaltrainer Kachaber Zchadadse, ehemals Spieler bei Eintracht Frankfurt, wolle die Mannschaft jetzt sogar ein bisschen aktiver sein, die sture Defensivtaktik gegen Favoriten aufgeben.
Möglicherweise wird Lewan Kobiaschwili noch in diesem Jahr der Chef von Zchadadse. Georgiens Rekordnationalspieler (100 Einsätze) will Präsident des Fußballverbandes werden, mit dann gerade 38 Jahren. Kobiaschwili sieht gute Chancen, der Deutsche Fußball-Bund habe Unterstützung zugesagt. Im Sommer wird Kobiaschwili die Nachwuchsakademie von Hertha BSC verlassen, wieder in seine Geburtsstadt ziehen und dort für Stimmen trommeln. „Ich habe ein gutes Netzwerk“, sagt Kobiaschwili. Wer dazugehört, bleibt sein Geheimnis.
Die Zuschauer bleiben aus
Auch sein Programm umschreibt er nur vage. Was schlecht unter dem jetzigen Präsidenten sei, der nicht mehr kandidieren wird, das zählt Kobiaschwili gerne auf: „Unsere Liga ist ein ganz großes Problem. Sie ist ziemlich schwach.“ Der Zuschauerschnitt sei „lächerlich“ – „da waren bei Schalke manchmal mehr beim Training“. Vielen Vereinen fehle das Geld: „Zwei Mannschaften wissen gerade nicht, wie sie ihre Auswärtsfahrten finanzieren sollen.“
Sein Heimatverein, Dinamo Tiflis, sei „einmalig“, hier stecke ein reicher Unternehmer Geld hinein, es gebe sogar eine Akademie. Dinamo träume von der Europa oder sogar Champions League, die Nationalmannschaft von einem großen Turnier.
Der deutsche Trainer Rainer Zobel hat Dinamo 2008 trainiert. Er gibt der georgischen Mannschaft für Sonntag „keine Chance“ und zählt die Probleme auf: „Georgien hat ganz hervorragende Fußballspieler, nur leider sind sie nicht professionell genug geschult. Hier gibt es noch den klassischen Typus des Straßenfußballers, der Kabinettstückchen beherrscht, aber manchmal eben die Ballannahme und -mitnahme nicht so richtig.“ Wenn man das ändern könnte, so Zobel, „wäre Georgien eine konkurrenzfähige Fußballnation“.
Zwei Treffer von Klinsmann
Exakt 20 Jahre wird es am Sonntag her sein, dass auch eine deutsche Nationalmannschaft in Tiflis spielte. Zwei Treffer von Jürgen Klinsmann sorgten für ein 2:0. Das Flutlicht brannte, sonst war die Stadt dunkel. Russland hatte Wirtschaftssanktionen verhängt. „Die haben uns schwer zurückgeworfen“, erinnert sich Kobiaschwili. Im Jahr 2008 eskalierten die Spannungen mit Russland. Es kam zum Krieg um die Regionen Abchasien und Südossetien.
„Das war hart“, klagt Kobiaschwili über den Kaukasuskrieg, der bewirkte, dass auch heute russische Panzer nur 60 Kilometer von Tiflis entfernt stehen. Die Angst vor dem riesigen Nachbarn ist immer da. Kobiaschwili sagt: „Wenn die Russen wollen, können sie jeden Tag hier einmarschieren. Ich hoffe, dass nichts passiert.“
Dann muss Kobiaschwili zum Flughafen. Er holt dort ein paar Kollegen von der Hertha ab: „Wir Georgier wollen immer gute Gastgeber sein.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!