Fußball-Derby an der Spree: Berlin ist der Gewinner
In fast allen Facetten erstaunlich harmonisch - das ist die Bilanz des so heiß ersehnten Duells Union vs. Hertha.
Einige Hertha-Spieler mussten sich nach dem Spiel ganz dünnmachen. Ihr Weg von der Kabine zum Mannschaftsbus führte durch einen überfüllten Medienraum, in dem 20 Minuten nach Abpfiff immer noch Union-Spieler interviewt wurden. Im Baucontainertrakt an der Wuhlheide gibt es für die Gäste eben nur diese eine Route nach draußen. Ohne zu murren, quetschten sich die Fußballprofis am Freitagabend mit dem Rücken zur Wand im Seitwärtsschritt in Richtung Ausgangstür durch.
Viel mehr Platz hatten die Hertha-Spieler ja auch zuvor auf dem Rasen nicht für sich in Anspruch genommen. Sie waren beim 1:1 gegen Union meist weit in der eigenen Hälfte verblieben. Das war erstaunlich, hatte man doch den Herthanern in jenem mit Erwartungen überladenen Stadtduell die Platzhirschrolle zugeschrieben. Zum Spiel des Jahres wurde das Duell gehypt. Hertha-Trainer Markus Babbel erkannte hernach gegenüber den Pressevertretern an: "Ihr hattet mehr Stress als ich."
Doch die Aufgeregtheiten um das Stadtduell verpufften im Nichts - auch deshalb, weil sich nach dem Spiel keiner als Verlierer fühlte. Babbel kam zwar angesichts des frühen Führungstors der Gäste durch Niemeyer (2. Minute) zu dem kuriosen Fazit: "Wir sind einfach nicht gut ins Spiel gekommen und haben von der 1. bis zur 90. Minute keine Dominanz aufbauen können." Es wirkte tatsächlich so, als ob Peter Niemeyer mit seinem raschen Erfolgserlebnis sein Team aus dem Konzept gebracht hätte.
Da aber Hertha-Torwart Maikel Aerts trotz Dauerdrucks von Union erst kurz vor Schluss nach dem Distanzschuss von Santi Kolk (82.) hinter sich greifen musste, blieb hinterher das Gefühl: Es hätte viel schlimmer kommen können. Babbel sagte: "Wenn man nicht gewinnen kann, darf man wenigstens nicht verlieren. Nur wer auch an schlechten Tagen punktet, hat am Ende Erfolg."
Der Union-Anhang feierte das Remis sowieso wie einen Sieg. Union-Trainer Uwe Neuhaus freute sich über "die beste Saisonleistung" und führte diese gar ursächlich auf das frühe Hertha-Tor zurück: "Ob sie es mir glauben oder nicht, ich habe danach auf der Bank gleich gesagt: Das ist gut für uns."
Allzu lange wollte Uwe Neuhaus über den gewonnenen Punkt indes nicht räsonieren. Er wies auf das nächste schwere Spiel am Mittwoch in Osnabrück hin. Die Lage bei Union ist weiter ernst, schließlich hat der Klub nach vier Spieltagen nur zwei Punkte. Und Neuhaus Kollege Babbel versachlichte die Bedeutung der Partie rasch, indem er von einem "Warnschuss" für die Begegnung am Dienstag gegen Karlsruhe sprach. Über den in der Stadt so ausgiebig diskutierten Derby-Charakter wollte keiner mehr große Worte verlieren. Neuhaus wirkte ermattet, als er sagte: "Es war schon ein besonderes Spiel, jetzt ist es aber auch gut. Wir können wieder in einem halben Jahr darüber reden."
Von der viel beschworenen Rivalität war auf den Rängen ohnehin nicht viel zu spüren. Der Lärmpegel war in der mit 18.430 Zuschauern ausverkauften Alten Försterei zwar immens, aber die Hasstiraden auf den Rängen überstiegen kaum das gewöhnliche Alltagsmaß. Auch die Polizei vermeldete keine besonderen Vorkommnisse. Der Trainingsanzugsträger Neuhaus verstand sich bestens mit dem im Zweireiher gekleideten Babbel. In einem knappen halben Jahr vor dem Rückspiel wird man sich aber gewiss wieder alle Mühe geben, um Konflikte zu schüren. Die Sehnsucht nach einem echten Stadt-Derby ist eben groß.
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