Fußball-Bundesliga: Werder gegen Stuttgart: Gardemaß reicht nur für einen Punkt
Werder Bremen erreicht trotz spielerischer Fortschritte und großer Überlegenheit nur ein 1:1 gegen Stuttgart. Die Angriffshünen Avdic und Wagner können den gesperrten und verletzten Pizarro nicht ersetzen.
BREMEN taz | "Ich weiß gar nicht, wo Werder immer diese ganzen langen Kerle herholt, das ist unglaublich", wunderte sich Bruno Labbadia nach dem Spiel über das turbulente Geschehen in seinem Strafraum. "Da waren wir schon größenmäßig unter Druck." Labbadia hat zu seiner Bremer Zeit zwar nicht mehr unter Otto Rehhagel gespielt, dessen Vorliebe für Spieler mit Gardemaß aber noch kennengelernt. Bei seiner Rückkehr als Trainer des VfB Stuttgart musste er nun feststellen, dass sein Kollege Thomas Schaaf im Abstiegskampf ebenfalls auf lange Kerls setzt.
Erstmals stand der 1,92 m große Schwede Denni Avdic in der Anfangsformation und bildete zusammen mit dem noch zwei Zentimeter längeren Sandro Wagner das Angriffsduo. In Abwesenheit von Sebastian Prödl (1,94 m) standen auf Bremer Seite mit Per Mertesacker, Tim Borowski und Petri Pasanen weitere drei Spieler auf dem Platz, die das von Preußenkönig Friedrich Wilhelm I. definierte Mindestmaß für seine Leibgarde von sechs Fuß, also 1,88 Meter, erfüllen.
In den ersten 25 Minuten verbreiteten die langen Kerls allerdings wenig Angst und Schrecken in der Hälfte des Gegners. Im Gegenteil - es war Stuttgarts Hüne Pavel Pogrebnyak, der in der 13. Minute so frei zum Kopfball kam, dass Torwart Tim Wiese den Ball nur noch vor die Füße des heranstürmenden Tamás Hajnal abwehren konnte, der ohne Mühe zum 0:1 vollendete. "Da haben wir gut verschoben und Druck gemacht", analysierte Bruno Labbadia richtig.
Werders Spiel litt unter anderem darunter, dass Avdic und Wagner nicht nur eine ähnliche Statur, sondern auch eine ähnliche Spielweise haben. Als typische Stoßstürmer warteten sie meist auf lange Bälle hinter die Abwehr. Kamen diese tatsächlich mal mal an, schafften sie es nicht, sie sinnvoll zu verarbeiten. Schon früh wurde der gesperrte und verletzte Claudio Pizarro vermisst. Der Peruaner hat zwar kein Gardemaß, ist aber wie kein anderer in der Lage, den Ball vor der Abwehr zu fordern und von dort aus gefährliche Spielsituationen zu kreieren.
Nach gut 20 Minuten merkte das Mittelfeld, dass mit langen Bällen nicht viel zu gewinnen war, und besann sich auf ein noch schlichteres Mittel: Weitschüsse. Den noch etwas zaghaften Anfang machte Marko Marin, aber erst als Stuttgarts Torhüter Sven Ulreich Wesleys platzierten Kracher in der 29. Minute nur knapp über die Latte lenkte, wachten Mannschaft und Stadion endlich auf.
Den Großteil ihrer insgesamt 27 Torschüsse gaben die Bremer in der folgenden Viertelstunde ab, die zum Besten gehörten, was sie in dieser Saison gezeigt haben. "Das war schon sehr wuchtig, heftig, was wir da losgetreten haben", schien selbst Thomas Schaaf überrascht über die plötzliche Dynamik im Werder Spiel zu sein. Der dritte Fernschuss fand schließlich sein Ziel und Torsten Frings konnte sich in der 35. Minute für den Ausgleichstreffer feiern lassen.
Mit der Dominanz im Mittelfeld und zahlreichen frühen Balleroberungen ergaben sich nun auch zunehmend Freiräume auf den Flügeln. Anders als im bisherigen Saisonverlauf führte fast jede der mit lange vermisster Präzision getretenen Flanken und Ecken zu einer Torchance für die langen Kerls in der Mitte. Mehrfach hatten die Zuschauer den Torschrei schon auf den Lippen, doch den Angreifern fehlte im letzten Augenblick die nötige Ruhe im Abschluss. Sogar als Avdic in der 42. Minute nach einem abgewehrten Borowski-Schuss das fast leere Tor vor sich hatte, war noch ein Abwehrbein zur Stelle.
In der zweiten Hälfte blieb Werder die spielbestimmende Mannschaft, ohne an die grandiose Phase vor der Halbzeit anknüpfen zu können. Die lauf- und zweikampfstarken Wesley und Borowski bauten ab, der eine entkräftet, der andere angeschlagen und nach einer Stunde verletzt vom Platz humpelnd. Die Stuttgarter konnten ihr Mittelfeld reorganisieren, ohne ihrerseits entscheidende Impulse nach vorn zu setzten.
Und so hätte Sandro Wagner in der Nachspielzeit doch noch zum Helden werden können. Sein Kopfball aus fünf Metern wurde vom überragenden Ulreich an den Pfosten gelenkt. "Vorne fehlt uns eben ein Torjäger wie Claudio Pizarro", sagte Torsten Frings. Nach dem Spielverlauf überwog bei den Bremern der Ärger über den verpassten Big Point im Abstiegskampf. Spielerisch war die Partie allerdings wieder ein Schritt nach vorn.
Werder und der VfB Stuttgart scheinen beide im Bundesliga-Endspurt einen Teil ihrer verschütteten Qualitäten wieder freizulegen. Bei den Stuttgartern ist die Trendwende offensichtlich eine Folge des Trainerwechsels. Die Bremer hingegen belohnen sich im Augenblick dafür, als Einziger der krisengeschüttelten Vereine an ihrem Trainer festgehalten zu haben. Der hat rechtzeitig gemerkt, dass mit seinem jetzigen Kader nur einfache Mittel zum Klassenerhalt führen. Auch wenn das mit den Langen diesmal noch nicht so geklappt hat.
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