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Furchtbares Wort Heimat

Eine Ausstellung und ein Film über das Schicksal deutscher und österreichischer Emigranten ist am Goethe-Institut in Lissabon zu sehen  ■ Von Theo Pischke

„Ich starrte auf das Schiff“, schreibt Erich Maria Remarque. „Es lag ein Stück vom Kai entfernt, grell beleuchtet, im Tejo. Obschon ich seit einer Woche in Lissabon war, hatte ich mich noch immer nicht an das sorglose Licht dieser Stadt gewöhnt. In den Ländern, aus denen ich kam, lagen die Städte nachts schwarz da wie Kohlengruben, und eine Laterne in der Dunkelheit war gefährlicher als die Pest im Mittelalter. Ich kam aus dem Europa des zwanzigsten Jahrhunderts.“

Für rund 100.000 Juden und politisch Verfolgte, die aus Nazi- Deutschland und den von deutschen Truppen besetzten Ländern fliehen mußten, war Lissabon das Tor ins rettende Amerika. Im Hafen der portugiesischen Hauptstadt hofften sie ein Schiff zu bekommen, mit dem sie Europa verlassen konnten, ein Schiff, das sie vor dem Holocaust in Sicherheit brachte.

Lissabon wurde für die Flüchtlinge zum Hafen der Hoffnung. Und Erich Maria Remarque hat ihr Schicksal mit seinem Roman „Die Nacht von Lissabon“ gegen das Vergessen festgehalten: „Jedes Schiff, das in diesen Monaten des Jahres 1942 Europa verließ, war eine Arche“, schreibt Remarque. „Die braune Flut hatte Deutschland und Österreich seit langem überschwemmt und stand tief in Polen und Prag, Amsterdam, Brüssel, Kopenhagen, Oslo und Paris waren bereits in ihr untergegangen, die Städte Italiens stanken nach ihr, und auch Spanien war nicht mehr sicher.“

Unter den Zufluchtsuchenden waren Maler, Komponisten und vor allem Schriftsteller wie Stefan Zweig, Lion Feuchtwanger, Heinrich Mann, Franz Werfel, Friedrich Torberg, Hans Sahl und Siegfried Kracauer. Auch Walter Benjamin wollte nach Lissabon, ehe er sich in Portbou an der spanisch-französischen Grenze das Leben nahm.

In Portugal hängengeblieben

Ruth Arons war 13, als sie ihre Heimatstadt Berlin für immer verlassen sollte. Ihr Vater setzte die ganze Familie kurzerhand ins Auto und fuhr Richtung Süden. Für Ruth und ihre jüngere Schwester war die Fahrt ein großes Abenteuer. In der Ausstellung „Flucht vor Hitler und Holocaust – Emigranten in Portugal 1933 bis 1945“, die das Lissaboner Goethe- Institut derzeit als deutschen Beitrag in der europäischen Kulturhauptstadt 1994 zeigt, sieht man ein Foto der beiden Mädchen im Auto mit offenem Verdeck, lederne Windschutzhaube auf dem Kopf, Staubbrille hochgeschoben vor der Stirn. Ruth und ihre Schwester sind gut gelaunt und lachen, als ob sie vergessen hätten, daß sie sich nicht auf einem Ausflug befinden, sondern auf der Flucht.

Grete Friman kam über Mailand und Barcelona nach Lissabon. Ihr Vater, Anwalt in Wien, hatte sich drei Tage nach dem „Anschluß“ Österreichs aus Verzweiflung das Leben genommen. Es gelang ihr, 1940 Österreich mit einem gefälschten Visum zu verlassen. Im Zug nach Lissabon in der dritten Klasse war es ihr so elend zumute, daß der Schaffner auf sie aufmerksam wurde. „Er sagte, ich sei krank und solle mitkommen in ein leeres Abteil der ersten Klasse. Dort konnte ich mich hinlegen“, erzählt sie. Das war eine ihrer ersten Erfahrungen mit Portugiesen.

Arons und Friman leben noch heute in Portugal. Für eine Koproduktion von arte und dem NDR haben sie ihr Flüchtlingsschicksal in dem Dokumentarfilm „Lissabon – Hafen der Hoffnung“ erzählt. Der Film wurde in Lissabon uraufgeführt und soll demnächst im deutschen Fernsehen gezeigt werden.

In Portugal hängengeblieben ist auch die Schriftstellerin Ilse Losa. 1934 mußte die deutsche Jüdin, die damals noch Ilse Lieblich hieß, aus Berlin fliehen. Nach ihrer Ankunft in Portugal schrieb sie ihr erstes Buch noch auf deutsch, dann begann sie portugiesisch zu schreiben. Bis heute weiß sie nicht, ob dies ein Fehler war: „Wenn ich nicht mit einem Portugiesen verheiratet gewesen wäre und keine Kinder gehabt hätte, wäre ich nach 1945 wieder nach Deutschland zurückgegangen, nur wegen der Sprache. Denn Sprache ist ja Heimat, dieses furchtbare Wort.“

Im Gegensatz zu Ilse Losa haben prominente Schriftsteller wie Feuchtwanger und Werfel in Portugal keine Spuren hinterlassen. Wegen ihrer aktiven Gegnerschaft zum Nazi-Regime mußten sie befürchten, immerhin auch in diesem Land von der Gestapo entführt und in ein deutsches Konzentrationslager verschleppt zu werden. Hilfskomitees schleusten sie daher oft anonym und in höchster Eile nach Übersee.

Solche Entführungsbefürchtungen waren nicht unbegründet: So wurde der linksliberale Journalist Berthold Jacob in Lissabon von der Gestapo ausfindig gemacht und verschleppt. Jacob hatte während der Weimarer Republik in der Weltbühne den Artikel „Windiges aus der deutschen Luftfahrt“ geschrieben. Darin prangerte er die geheime Aufrüstung der deutschen Streitkräfte an. Wegen des Verrats militärischer Geheimnisse wurde Weltbühne-Herausgeber Carl von Ossietzky daraufhin von der Weimarer Justiz zu 18 Monaten Gefängnis verurteilt.

Berthold Jacob konnte nach Frankreich fliehen. Von dort flüchtete er unter dem Decknamen Marcel Rollin weiter nach Portugal. „Als er in Lissabon sein Hotel verlassen wollte, wurde er von zwei Männern in ein Auto gezerrt“, berichtete der Historiker Patrik von zur Mühlen, der über Flüchtlingsschicksale in Spanien und Portugal ein Buch geschrieben hat. Über Spanien wurde Jacob nach Berlin gebracht, wo er, schwer erkrankt, 1944 starb.

Schiffspassage oder Internierung

Die faschistische Diktatur in Portugal unter António Salazar duldete die Gestapo im Land. Mit Ausnahme von zwei „Interbrigadisten“, die im Spanischen Bürgerkrieg auf der Seite der Republikaner gekämpft hatten, lieferte Portugal jedoch keine Flüchtlinge nach Deutschland aus. Antisemitismus jedenfalls gab es nicht am äußersten Südwestrand Europas.

Bis 1939 konnten sich die damals nur rund 600 Flüchtlinge frei im Land bewegen. Nach der deutschen Besetzung Frankreichs im Juni 1940 setzte dann eine Massenflucht nach Portugal ein; allein 1940 kamen rund 40.000. Die portugiesische Flüchtlingspolitik verschärfte sich. Die Regierung wollte die Flüchtlinge so schnell wie möglich loswerden. Emigranten, deren Visa für Amerika abgelaufen waren, die kein Geld für eine Schiffspassage hatten oder die aus anderen Gründen Portugal nicht verlassen konnten, wurden ab 1942 in sogenannten „residências fixas“ interniert.

Nach 1945 verließen die meisten Flüchtlinge Portugal. Einige aber fanden den Weg zurück bis heute nicht – wie Grete Friman: „Wenn ich hier keine Familie hätte, würde ich in ein Altersheim nach Wien gehen“, sagt sie. „Warum das so ist, weiß ich nicht. Ich ärgere mich über mich selbst. Denn ich ginge ja dann in das Land, dessen Bewohner einmal zu mir gesagt haben: ,Sie sind der letzte Dreck.‘“

Die Ausstellung „Flucht vor Hitler und Holocaust – Emigranten in Portugal 1933 bis 1945“, der deutsche Beitrag zu Lissabon – Kulturhauptstadt Europas 1994, ist noch bis zum 16. Juli im Goethe-Institut in Lissabon zu sehen.

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