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■ Deutsche Schriftsteller rebellieren gegen die Rechtschreibreform. Dabei wird die deutsche Sprache durch die neuen Regeln endlich vereinfacht. Ein PlädoyerFür, ja, für die Rechtschreibreform

Man hat gelernt, im Leben oder in der Schule, wie Welt zu sehen ist und wie man sie in Sprache wiedergibt. Die Orthographie und das Regelwerk der Grammatik schreiben vor, wie man zu schreiben hat, wenn man anständig und ein guter Mensch ist, und sind somit quasi ein Knigge für gute Manieren im schriftlichen Sprachgebrauch. Mit dem Mund redet ohnehin jeder, wie er ihm gewachsen ist.

Und das soll alles plötzlich nicht mehr stimmen? Mit einem Mal soll man mit der Zunge vom Messer schlecken dürfen und bekommt obendrein noch recht? Die flegelhaften Beistrichsetzer und Meionäsetüpfler benehmen sich unversehens besser als alle sattelfesten Aufsatzkönige? Gewiß, das ist zuerst einmal ein Schock. Da wird an Grundfesten gerüttelt und mit gräulichen Schnäuztüchern eine letzte Bastion unserer Werte gestürmt. So etwas bringt selbstverständlich Angst und Unmut in die Welt. Wer hat sich schon freiwillig vor hundertfünfzig Jahren in eine Eisenbahn gesetzt? Und wer vor fünfzehn Jahren hinter einen Computer?

Gott ist unbeweisbar, die politischen Strukturen bröckeln davon, die Mode erlaubt keine klassifizierenden Vorurteile mehr, undurchsichtig ist das Weltall. Und auch sonst kann man sich auf nichts mehr verlassen. Da klopft auch noch die Rechtschreibreform an die heile Tür eines ansonsten brüchigen Gebäudes. Und vor Reformen hat jeder immer Angst, in Österreich immer ein bißchen mehr als anderswo.

Um so mehr verwundert, daß es nicht die sogenannten kleinen Leute sind, sondern die großen Dichter, die diesem Unmut Luft verschaffen. Augenfällig ist dabei, daß die meisten der gegenwärtig opponierenden Schriftsteller bereits in einem Lebensabschnitt sitzen, in dem die unvermeidlich korpulente Brille eine nicht mehr wegzudenkende Symbiose mit dem Gesicht eingegangen ist. Siegfried Lenz hält sogar eine Volksabstimmung über die Rechtschreibreform für nötig, Hans Magnus Enzensberger das Ganze für so „überflüssig wie einen Kropf“. Vielleicht assoziieren die Literaten, Günter Grass, Ernst Jandl, Walter Kempowski, Milo Dor et al., ja die Rechtschreibreform auch mit den von ihnen durchlittenen NS-Bemühungen einer Sprachhygiene? Aber das wäre Katachrese. [Laut derzeit geltendem Duden: Bildbruch, d.h. Vermengung von nicht zusammengehörenden Metaphern – z.B.: Das schlägt dem Faß die Krone ins Gesicht; Anm. d. Red.]

Die ihnen auf der Brust brennenden Argumente gehen vom Vorwurf der Inkonsequenz bis zum „Wozu brauchen wir jetzt das“. Und wenn Protestflugblätter erst einmal ins Laufen kommen, finden sich auch schnell die sie füllenden Krähenfüße. So scheint es, daß die Frucht von sicher unzähligen wissenschaftlichen Arbeitsausschüssen auf ein recht fauliges Niveau gepreßt wird.

Dabei bietet gerade die Rechtschreibreform, so inkonsequent sie auch sein mag, erste Ansätze, die engen orthographischen Fesseln der ohnehin nicht leichten deutschen Sprache etwas zu lockern. Da es nach wie vor die Benutzer des restringierten Sprachcodes sind, also meist die Kinder sogenannt ärmlicher Verhältnisse, die dem elaborierten Code ihren Zehnt zahlen müssen, macht die angestrebte Vereinfachung der Rechtschreibreform in jedem Fall Sinn. Erst recht, wenn man bedenkt, wie viele Berufswege noch immer mit den ersten Schuljahren begehbar oder unzugänglich werden.

Die Ergebnisse der meisten Intelligenztests beruhen wesentlich auf dem Sprachvermögen. Eben deshalb war es auch die 68er-Generation, die einen massiven Wunsch nach einer solchen Rechtschreibreform äußerte, die sich drei Jahrzehnte danach ansatzweise endlich anzubahnen scheint. Um so mehr überrascht mich der Einwand der deutschen Dichter. Doppelt, wenn man die Reform- und Streitpunkte näher betrachtet. Die eingedeutschte Schreibweise von Fremdwörtern wird angeboten, aber nicht vorgeschrieben, ebenso die Setzung des Beistrichs bei Infinitiv- und Partizipialgruppen sowie zwischen gleichrangigen Teilsätzen. Die Silbentrennung richtet sich nach der Aussprache; und wenn in einem Wort drei Buchstaben zusammentreffen, werden wie in der Schifffahrt immer alle drei geschrieben. Bei der Getrennt- und Zusammenschreibung gibt es mehr Freiheiten als bisher, und die Höflichkeitsanrede du wird konsequent klein geschrieben, Sie weiterhin groß. Das ß gibt es nur noch nach langem Vokal oder Zwielaut. Als Schwierigkeiten bleiben lediglich einige Punkte in der Groß- und Kleinschreibung sowie diverse etymologisch begründete Änderungen wie Stängel und Quäntchen.

Aber wenn man berücksichtigt, daß die einheitlich normierte Rechtschreibung im Deutschen noch keine hundert Jahre alt ist, sind auch diese Dinge eher Lappalien und wenigstens an einem Vormittag erlernbar. Die einstweiligen Änderungen sind zwar von der ursprünglichen Forderung nach einer konsequenten Kleinschreibung und der Abschaffung des Beistrichs noch weit entfernt, aber zumindest werden mehr Freiräume geschaffen. Und vielleicht ist noch wichtiger, daß diese Reform vielleicht ein erster Schritt auf einem langen Weg sein wird, dem man durchaus nicht gleich den Boden abgraben sollte, bevor dieser überhaupt getan ist.

Selbstverständlich kann man nicht von heute auf morgen ins Werk setzen, was der ehemalige Trainer der österreichischen Fußballnationalmannschaft, Ernst Happel, einmal forderte – nämlich die Beistriche aus den Unterhosen seiner Spieler radieren. Und genausowenig kann man auch eine geänderte Rechtschreibung nicht ohne weiteres wie ein neues Waschbecken installieren. Vielleicht werden vorerst einmal die Leitungen dazu gelegt. Aber man darf auch nicht (aus mir durchaus nachvollziehbaren Gründen persönlicher Bequemlichkeit) sich ausgerechnet in den Weg eines durchaus bestreitbaren Prozesses legen.

Diskussionswürdiger ist eher, ob eine normierende Rechtschreibung, die rechtsprecherisch unentwegt in Falsch und Richtig einteilt, überhaupt Sinn macht und ob es nicht vielleicht vernünftiger wäre, die an die korrekte Rechtschreibung geknüpften Vorurteile zu hinterfragen.

Denn eines bleibt in jedem Fall gewiß: Deutsch ist eine schwere Sprache. Franzobel

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